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Das Haus in den Wolken

Titel: Das Haus in den Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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Kochherd?«
    Â»Sie ist ausgegangen.« Mrs. Carrington rümpfte die Nase. »Angeblich ist ihre Cousine krank. In der Speisekammer steht etwas Kaltes. Wirklich schlimm von ihr. Ich hätte niedergeschossen werden können.«
    Â»Niedergeschossen? Das glaube ich nicht, Mutter. Belgravia wird wohl kaum das erste Ziel der Deutschen sein, wenn es zur Invasion kommt. Und wenn du in London Angst hast, warum gehst du dann nicht wieder nach Andover?«
    Bei Ausbruch des Krieges war Mrs. Carrington mit ihrer Freundin, Mrs. Collins, nach Andover in eine kleine Familienpension gezogen. Es war kein glücklicher Entschluss gewesen; sechs Wochen später war Mrs. Carrington wieder in London eingetroffen. Edward vermutete ein Zerwürfnis beim Bridge.
    Seine Mutter wich aus. »Es macht mich unruhig, wenn ich Dr. Steadman nicht in der Nähe habe.«
    Edward verkniff sich die Bemerkung, dass Dr. Steadman wahrscheinlich anderes zu tun haben würde, als sich um Mrs. Carrington zu kümmern, wenn die Deutschen tatsächlich einmarschierten.
    Â»Ich verdunkle jetzt lieber mal«, sagte er.
    Â»Muss das sein? Das ist so bedrückend.«
    Â»Wir wollen doch keine Anzeige bekommen«, sagte er in aufmunterndem Ton.
    Er befestigte den schwarzen Rips an den Fenstern, danach deckte er den Tisch und holte aus der Speisekammer eine Platte mit aufgeschnittener Zunge und eine Schüssel Kartoffelsalat. Nach dem Essen hörten Mutter und Sohn noch eine Weile Radio, dann ging Mrs. Carrington zu Bett.
    Da der Rundfunk nichts brachte, was ihn interessierte, holte Edward sich seinen Graham Greene. Aber er konnte sich nicht konzentrieren. Seine Hochstimmung war längst verflogen, einer Mischung aus Schuldgefühl und Niedergeschlagenheit gewichen.
    Es war immer das Gleiche. Erst die Wonne des Zusammenseins mit Sara, so beglückend wie der Genuss erlesener Musik, und dann, wenn er wieder allein war, die Qual, das schmerzhafte Eingeständnis seiner Unzulänglichkeit und seiner Mängel, wenn er sich noch einmal ihre Begegnung ins Gedächtnis rief und seine Plumpheit sah, seine Ungeschicktheit im Formulieren von Dingen, die er weit besser hätte ausdrücken können. Er erinnerte sich, dass sie ihm zugelächelt, ihn »mein Lieber« genannt hatte, was ihm in den frühen Tagen ihrer Bekanntschaft Hoffnung gemacht hätte. Aber inzwischen kannte er sie besser und wusste, dass sie jedem ein Lächeln schenkte, auch einen Hund »mein Lieber« nennen konnte. In seiner Familie hatte es Kosenamen nicht gegeben, deshalb war er mit ihrem Gebrauch nicht vertraut und maß ihnen zu viel Bedeutung bei. Und wenn es heute Abend auch geschienen hatte, als brauchte Sara ihn, wusste er doch, dass sie ihn in Wahrheit ganz und gar nicht brauchte. Er fragte sich, ob sie überhaupt einen Gedanken an ihn verschwendete, wenn er nicht bei ihr war. Er fragte sich, ob sie auch nur einen Funken Zuneigung für ihn aufbringen würde, wenn sie in sein Herz sehen könnte.

    Zuerst brachten sie Anton nach Ascot auf die Rennbahn, wo er im Totalisatorhaus nächtigen musste. Die winzigen Fenster des langen, schmalen Baus waren vergittert. Die Internierten schliefen auf beiden Seiten dicht gedrängt in zwei langen Reihen, zwischen denen kaum Platz zum Durchgehen war.
    Das war die schlimmste Nacht. Der Raum hatte nur eine Tür, weit entfernt von ihm, ganz am anderen Ende. In der Nacht gerieten manche Männer in Panik – der Mangel an frischer Luft, die Lichtlosigkeit, die Angst vor dem nächsten Tag. Anton schlief kaum. Wenn er doch einmal eindöste, erwachte er nur Minuten später, wie ihm schien, in Schweiß gebadet und im ersten Moment überzeugt, er befände sich im Wiener Gefängnis. Er bemühte sich, regelmäßig zu atmen, aber irgendetwas schien auf seiner Brust zu lasten. Ihn quälte die Angst, dass sie ihn für immer hierbehalten würden, bis er verrückt wurde oder starb, und ihn quälte die Angst vor dem, was bevorstand. Bilder von Flucht und Vertreibung, von Exekutionskommandos bedrängten ihn. Und die irrationale, aber darum nicht weniger schreckliche Furcht, Wände und Decke würden ihn langsam einklemmen und zerquetschen. Er versuchte, seiner Ängste Herr zu werden, indem er an das Haus dachte, das er für Sara bauen würde, an die großen Fenster, die zu einem See hinausblickten. Er versuchte, sich den weiten Himmel und das kühle

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