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Das Haus in den Wolken

Titel: Das Haus in den Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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Wasser vorzustellen.
    Am nächsten Morgen wurde er zusammen mit mehreren Dutzend Männern unter strenger Bewachung wiederum zu einer Rennbahn transportiert, diesmal in Lingfield in Surrey. Er schlief auf einem Strohsack in den Stallungen. Sie waren gesäubert worden, rochen aber immer noch nach Pferden. In Lingfield fühlte er sich etwas besser, die kalten Duschen, die Plumpsklos und die Militärverpflegung machten ihm nichts aus, weil er bei Tag Bäume und Himmel sehen konnte. Seine Leidensgenossen waren Seeleute der Handelsmarine, die von der Königlichen Marine gefangen genommen worden waren, und andere Seeleute, Sozialisten und Kommunisten, die unter der Flagge neutraler Staaten gedient hatten, nachdem sie vor dem Naziregime in Deutschland und Österreich geflohen waren. Ein Mann aus Edinburgh hatte einen ganzen Rucksack voll Penguin-Taschenbücher dabei; Anton lieh sich eines aus, setzte sich auf die Tribüne und las. Er wartete verzweifelt auf eine Nachricht von Sara, doch es kam nichts.
    Eine Woche später mussten sie sich alle auf dem Sammelplatz einfinden, wo eine Reihe Namen verlesen wurde. Antons Name war darunter. Er gab Der brave Soldat Schwejk zurück und kletterte auf den Transporter. Er sah seine eigene Angst in den Gesichtern der anderen Männer gespiegelt. Wohin brachte man sie? Was hatte man mit ihnen vor? Nur die Soldaten, die sie mit aufgesetzten Bajonetten begleiteten, schauten gleichgültig, ja gelangweilt drein.
    Sie wurden zu einem Bahnhof gefahren und in einen Zug verfrachtet. Einer der Wachposten im Zug sagte Anton, dass sie nach Huyton in Liverpool gebracht wurden. Es regnete, als sie das Lager in Huyton erreichten, zu dem man in aller Eile eine kaum fertiggestellte Wohnsiedlung der Gemeinde umfunktioniert hatte. Der Ort hatte etwas Befremdliches, fand Anton, als wäre das Gewohnte aus seinem Rahmen gerissen – die einförmigen Reihen gleich aussehender Häuser mit den unfertigen Gärten und Zäunen; die Menschen, die in Gruppen auf den Straßen standen, lauter Männer, keine Frau und kein Kind unter ihnen; der Stacheldrahtverhau, der die Häuser von den anderen in der Nähe trennte.
    Er bekam wieder einen Strohsack zum Schlafen. Da die Häuser bereits überbelegt waren, musste er in einem Zelt auf einer Wiese übernachten. Von den anderen beschwerten sich einige über den Schlamm, der durch den Regen entstanden war, aber Anton störte er nicht. Er bedauerte nur, dass sie nicht gleich, als Sara es vorgeschlagen hatte, nach Cornwall geradelt waren. Er hätte nicht abwarten sollen.
    Viele der Tausenden von Gefangenen in Huyton waren Juden, unter ihnen auch alte Männer, sechzig und älter, schwach und krank nach Jahren der Entbehrung, der Angst und der Gefangenschaft in Konzentrationslagern. Sie waren amüsant und gebildet, diese Doktoren und Professoren und Rabbis, doch Anton spürte das tiefe Unbehagen, das ihre Gespräche nicht verdecken konnten.
    Immer noch keine Briefe. Mit dem Verstreichen der Tage regten sich neue Befürchtungen. Hatte Sara ihn aufgegeben? Hatte sie ihn vergessen? War ihr etwas zugestoßen? Er wusste, dass es den anderen im Lager ähnlich ging wie ihm. Alle hatten sie Angst um Familien und Freunde, die sie in einer zerfallenden Welt hatten zurücklassen müssen. Es gab kein Radio im Lager, und Zeitungen waren ihnen nicht erlaubt. Keine Bücher, keine Ablenkung von den eigenen Gedanken. Viele der Männer hatten bis hierher schon so viel durchgemacht, dass sie diese neuerliche Entwurzelung nur schwer ertragen konnten. Angst füllte die Leere, Angst, die durch Gerüchte genährt wurde – London war in Trümmer gelegt worden, deutsche Schiffe beschossen die Südküste Englands, Fallschirmjäger schwebten wie tödliche Pusteblumen auf Englands Felder herab. Genau wie vorher in Holland…
    Eines Morgens wurde beim Appell wieder eine Namensliste verlesen. Die Männer, die aufgerufen wurden, packten ihre Sachen und kletterten in Militärtransporter. Einige von denen, die zurückblieben, versammelten sich am Tor des Lagers, um den Davonfahrenden nachzuschauen.
    Â»Sie verfrachten sie nach Australien«, bemerkte jemand. »Die Briten verfrachten ihre Gefangenen immer nach Australien.«
    Â»Ich habe Madagaskar gehört«, sagte jemand anders.
    Ein hagerer Mann erklärte: »Sie schicken uns nach Deutschland zurück, wenn ihr’s

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