Das Haus in den Wolken
»Ist Ihre Reise wirklich nötig?« â Ja, sonst werde ich wahnsinnig. Der Zug hielt auf einem Seitengleis, die Soldaten schimpften unterdrückt, drehten sich Zigaretten, boten ihr einen Kaugummi an. In London angekommen, nahm sie die U -Bahn â ach, diese vertraute stickige Dunkelheit â oder ging zu FuÃ, während Scheinwerferstrahlen über den schwarzen, sternengesprenkelten Himmel schweiften und hin und wieder die glänzenden silbernen Riesenblasen der Sperrballons einï¬ngen.
Im Sommer bekam sie einen Anruf von Theo, der ihr mitteilte, dass er ein paar Tage Urlaub hatte. Sie trafen sich in London, zusammen mit Freunden, und setzten ihre Gespräche fort, als hätte es ihr monatelanges Exil in der Kälte und seine endlosen Fahrten auf dem Atlantik nicht gegeben. Es gab immer eine Frau, die sich an Theos Fersen heftete â eine kleine Blondine, die bei der Womenâs Auxiliary Air Force, den britischen Luftabwehrhelferinnen, war, oder eine Tochter aus gutem Hause, die wie Ruby in einem zugigen Herrenhaus auf dem Land arbeitete. Sie drängten sich in ein Varietétheater oder eine Tanzdiele oder ï¬elen im Marquess of Granby in Fitzrovia ein, wo die Schieber, die Homosexuellen und die Deserteure verkehrten.
Sie und Theo waren immer die Letzten. Wenn alle anderen gegangen waren, selbst die Blondine von der Hilfstruppe und die Tochter aus gutem Hause, saÃen sie immer noch wie festgewachsen vor leeren Gläsern und überquellenden Aschenbechern, ohne sich darum zu kümmern, dass der Wirt zumachen wollte oder die Band schon ihre Instrumente zusammengepackt hatte. Sie wollte wissen, wie es war, auf einer Korvette zu dienen und den Schiffen Begleitschutz zu geben, die die Nahrungsmittel, Rohstoffe und Ãlvorräte transportierten, ohne die England nicht in der Lage gewesen wäre, zu überleben und den Kampf weiterzuführen. Sie lieà sich sein Schiff und seine Pï¬ichten in allen Einzelheiten beschreiben; sie wollte wissen, was das für ein Gefühl war, sich dort drauÃen in der unendlichen Weite und Dunkelheit vor den U -Booten zu verstecken; ob Theo ähnlich wie sie ständig von Menschen umgeben war, kaum Raum für sich hatte, kaum zum Nachdenken kam.
»Ich versuche, nicht an zu Hause zu denken, wenn ich da drauÃen bin«, sagte er. »Ich denke nicht an meine Familie oder meine Freunde. Nicht einmal an dich denke ich, Ruby, denn wenn ich es täte, würde ich mich so verdammt einsam fühlen.«
Wie er das sagte: Nicht einmal an dich denke ich, Ruby , das tat ihr gut. Es klang, als sei sie ihm wichtig.
Im Februar 1941 wurde Anton von Klasse B auf Klasse C zurückgestuft. Und im folgenden Monat wurde er unter der Bedingung, dass er sich beim Pioniercorps melden würde, aus dem Internierungslager auf der Isle of Man entlassen.
Ihnen blieb eine Woche, bevor er sich in einem Ausbildungslager in Devon melden musste. Philip und Elaine überlieÃen ihnen ihr Häuschen in Hampshire. Sie machten lange Spaziergänge, redeten, liebten sich, lernten sich wieder neu kennen. Sara bemerkte, dass er sich in den sieben Monaten im Lager verändert hatte â er war stiller geworden, sein Blick noch ein wenig trauriger.
Als die Woche um war, fuhren sie mit der Bahn nach Ilfracombe. Er erlaubte ihr nicht, ihn zum Stützpunkt zu bringen; stattdessen verabschiedeten sie sich in der Pension voneinander. Dann brach Anton zu dem Lager auf, in dem er die nächsten sechs Wochen zubringen würde, und Sara reiste nach Cornwall, um eine Woche bei ihrer Mutter zu bleiben.
Nach ihrer Rückkehr nach London nahm sie die Arbeit im Britischen Restaurant wieder auf, schälte Berge von Kartoffeln und backte Stapel von Pasteten. Anton wurde nach Abschluss seiner Ausbildung nach Newbury abkommandiert. Als feindlicher Ausländer durfte er nicht zur kämpfenden Truppe, sein Dienst bestand gröÃtenteils aus schwerer körperlicher Arbeit: Be- und Entladen von Transportern, Fällen von Bäumen, Räumung von Trümmergrundstücken, Reparaturarbeiten in Häfen und an Eisenbahnstrecken, die Bombenschäden davongetragen hatten.
Im Sommer, Ende Juni, als Anton Urlaub bekam, verbrachten sie ein verlängertes Wochenende in Hungerford, fünfzehn Kilometer von Newbury entfernt. Sie wohnten in einer Pension in einer SeitenstraÃe der High Street, wo sie in einem Zimmer mit einer rosa und hellblau geblümten Tapete
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