Das Haus in den Wolken
gehört? In Ihrem Brief haben Sie nichts davon geschrieben, aber ich habe mir Gedanken gemachtâ¦Â«
»Nein, tut mir leid.«
»Ist schon gut.« Claire führte Ruby ins Wohnzimmer. »Ich weià gar nicht, was ich täte, wenn er jetzt aufkreuzen würde.« Sie bot Ruby eine Zigarette an.
»Nein, danke.«
»Sie haben nichts dagegen, wenn ich rauche?« Claire knipste ihr Feuerzeug an. »Wissen Sie, ich habe jemanden kennengelernt. Er ist nett und lustig â arbeitet auf dem Luftstützpunkt in Boscombe Down. Zum Ehemann ist er nicht geeignet, aber das ist sowieso nicht das, was ich suche. Setzen Sie sich doch. Ich mache uns schnell eine Tasse Tee.«
Einige Minuten später kam sie mit Tee und Keksen zurück. »Wahrscheinlich«, bemerkte sie, »hat meine Ehe mit Nicky â wenn man überhaupt von einer Ehe sprechen kann â mir den Geschmack an dieser Institution ein für alle Mal verdorben.« Sie zog an ihrer Zigarette, den Blick fragend auf Ruby gerichtet.
»Meine Mutter ist vor einem Jahr gestorben«, erklärte Ruby.
»Das tut mir leid. Wie traurig für Sie.«
»Unter ihren Sachen waren Briefe von meinem Vater. Er hat ihr geschrieben, als er im Krieg war.«
»Haben Sie sie gelesen?«
»Ein paar. Ich habe es nicht über mich gebracht, sie alle zu lesen.« Sie nahm einen Keks. »Als ich ein kleines Mädchen war, da war mein Vater für mich der groÃartigste Mensch auf der Welt.«
»Sie waren eben ein Papakind.«
»Ja, wahrscheinlich. Aber als ich dann von Ihnen erfuhr, habe ich ihn verachtet. Und jetzt kann ich die beiden Seiten irgendwie nicht zusammenbringen. Sie passen einfach nicht. Ich möchte gern wissen, was für ein Mensch er wirklich war. Das wäre eine Art, ihn zu ï¬nden. Deshalb wollte ich mit Ihnen sprechen.« Sie lächelte Claire zu. »Es gibt nicht mehr viele, die ihn gekannt haben.«
Claire runzelte die Stirn, und Ruby sagte hastig: »Sie können ruhig ehrlich sein. Bitte, seien Sie ehrlich. Wenn er ein â nun ja, wenn er kein guter Mensch war, dann möchte ich das wissen.«
»Ein guter Menschâ¦Â« Claire blies Rauch in die Luft und zog die Augen zusammen. »Von einer Seite betrachtet, war er ein absoluter Mistkerl. Er hat mich aufs Schlimmste belogen und betrogen â und Sie und Ihre Mutter natürlich genauso. Aber soll ich Ihnen sagen, was mir von ihm am deutlichsten in Erinnerung geblieben ist? Er war immer so lebendig . Wenn er da war, gab es keine Langeweile.« Sie drückte ihre Zigarette im Aschenbecher aus. »Warten Sie einen Moment.« Sie stand auf und ging hinaus. Ruby hörte sie die Treppe hinauflaufen.
Während Claire weg war, sah sie sich im Zimmer um. Gemälde â recht gute â hingen an den Wänden; Fotograï¬en in silbernen Rahmen auf der Kredenz. Ein junger Mann in Fliegeruniform und ein dunkelhaariges junges Mädchen, apart wie seine Mutter. Archie und Anne, vermutete sie. Ihre Halbgeschwister.
Mit einem groÃen Umschlag in der Hand kam Claire zurück. »Ich weià gar nicht, wie oft ich die beinahe verbrannt hätte«, sagte sie. »Aber es sind auch Bilder von den Kindern, deshalb habe ich sie behalten.«
Ruby sah die Fotograï¬en durch, die Claire ihr reichte. Ein Porträt ihres Vaters mit einer jüngeren, bildhübschen Claire. Ihr Vater im kurzärmeligen Hemd in einem Garten, den lächelnden Blick auf einen erstaunt aussehenden Säugling im Strampelanzug gerichtet, den er auf dem Arm hielt. Anne mit Schleifen im Haar auf dem Schoà ihres Vaters, der ihr den Schuh zuknöpfte. Ein Schnappschuss, der am Meer aufgenommen war â eine Sandburg, die beiden Kinder. Nicholas mit einer Schaufel.
Claire sagte: »Nicky war ein guter Vater. Wenn ich müde war, hat er die Kinder genommen, ihnen die Flasche gegeben, sie gewickelt â den meisten Männern würde das nicht im Traum einfallen. Als ich nach der Geburt von Anne mit den Nerven ein bisschen herunter war, hat er sich um die beiden gekümmert, während ich ein paar Tage zu einer Freundin gefahren bin. Er hatte groÃe Pläne für sie. Mit Archie wollte er Kricket spielen, Anne sollte Ballettstunden bekommen. Er wollte ihnen das weiÃe Pferd von Ufï¬ngham zeigen. Er hat die Kinder geliebt. Das sieht man auf den Fotos, nicht wahr? Nie hätte ich geglaubt, dass er einfach gehen würde.«
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