Das Haus in den Wolken
sich Ruby, ob auch er sie wohl einfach vergessen würde. Aber Philip kehrte nach ein paar Minuten mit einer Platte in den Händen zurück, und Ruby folgte ihm ins Wohnzimmer.
»Wirst du bei uns wohnen?«, fragte er.
»Ich glaube schon.«
»Wunderbar. Hast du Sara und Theo schon kennengelernt?«
Ruby schüttelte den Kopf. Dabei überrascht zu werden, wie man ein Buch las, das einem anderen gehörte, zählte wohl kaum als kennenlernen, dachte sie.
»Die beiden sind bestimmt beim Teich«, sagte Philip. »Hier.« Er hielt ihr die Platte hin. »Nimm dir Kuchen.«
Ruby nahm sich ein Stück Biskuit mit rosa Zuckerguss. Philip fragte: »Hat mein Vater dich mitgebracht? Ist er zu Hause? Ich muss mit ihm über den Zweitakter reden.«
Sie hatte keine Ahnung, was ein Zweitakter war, und sagte nur: »Er hat mich mit dem Auto hergebracht.« Dann dachte sie einen Augenblick lang nach; und weil er so nett war und sie meinte, in ihm zum ersten Mal seit sehr langer Zeit wieder jemand Vertrauenswürdiges gefunden zu haben, fügte sie hinzu: »Ich fürchte aber, er ist recht verärgert.«
»Streiten meine Eltern schon wieder?« Er sah sie amüsiert an. »Mach dir deshalb keine Sorgen. Sie streiten ständig, das bedeutet nichts.« Noch einmal hielt er ihr die Platte hin. »Hier, Kleine, nimm dir das letzte Stück.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, nimm du es dir.«
»Meine Mutter würde sagen, dass du noch groà und stark werden musst.«
»Du bist gröÃer als ich, also musst du auch mehr essen.«
Philips fröhliches Lachen klang genau wie das von Mr. Finborough. »Komm, wir teilen es uns«, sagte er und schnitt das Kuchenstück in zwei Hälften; aber Ruby bemerkte sehr wohl, dass er ihr das Stück mit dem meisten Zuckerguss gab.
Isabel musterte Richards rotes, zorniges Gesicht. WeiÃt du nicht, dachte sie, weiÃt du nicht, wie sehr mich deine Gedankenlosigkeit verletzt? Nein, du hast keine Ahnung. Du hast noch nie eine Ahnung gehabt und wirst auch nie eine haben.
Sie wusste, dass sie an einem Punkt angelangt waren, an dem ihr Streit die eine oder die andere Wendung nehmen konnte. Entweder er steigerte sich, von ihrer Angst und seinem Jähzorn genährt, immer weiter, bis es schlieÃlich kein Halten mehr gab und einer von ihnen hinausstürmte und ï¬Ã¼chtete, er in Alkohol und Wutanfälle, sie in Tränen oder nach Cornwall. Oder einer von ihnen lenkte ein, dann würden sie beide lachen, sich gegenseitig um Verzeihung bitten und heute Nacht im Bett Frieden schlieÃen. Doch in welche Richtung sie sich bewegten, konnte sie noch nicht erkennen.
»Ich habe dir gesagt , dass die Horsleys kommen. Und es ist immer so anstrengend mit ihnen. Nur ein Telefonanruf, Richard, um mehr bitte ich dich gar nicht. Dann wüsste ich Bescheid.« Nicht einmal darum sollte sie ihn bitten; sie wusste ja, dass es ein Fehler war, ihrem Misstrauen freien Lauf zu lassen. Aber sie konnte sich nicht zurücknehmen. »Wo warst du?«
Richard schenkte sich noch ein Glas Wein ein. »Muss ich dir über jede einzelne Sekunde meiner Zeit Rechenschaft ablegen? Was um Himmels willen stellst du dir eigentlich immer vor?« Sein Ton klang gefährlich.
Ich stelle mir vor, dass du mich vergessen hast, dachte sie, dass dein Blick sich von einem hübscheren Gesicht, von einem jüngeren Gesicht hat fesseln lassen. Ich stelle mir vor, dass du doch erkannt hast, welchen Fehler du damals vor all den Jahren in Lynton gemacht hast, dass du es bedauerst, mich geheiratet zu haben. Ich stelle mir vor, dass ich dich verloren habe.
Doch sie sagte: »Ich dachte, dass der Wagen vielleicht liegen geblieben ist â oder du einen Unfall hattest.«
Er ging zu ihr. In seinen Armen fühlte sie sich sicher, und etwas in ihr entspannte sich. Die Ãngste des Abends â wegen Richards Zuspätkommen, wegen Philips Begeisterung für dieses elende Motorrad â wichen vernünftiger Ãberlegung.
»Dein Haar riecht nach der See. Warum riecht dein Haar immer nach der See?«
»Ich habe dich vermisst , Richard«, ï¬Ã¼sterte sie.
»Und ich dich.« Mit dem Daumen strich er die Linie ihres Halses entlang. »Wie immer.«
Unruhig sah sie zur Uhr. »Wo bleibt Philip nur?«
»Dem fehlt schon nichts«, sagte Richard. »Er ist siebzehn und kann sehr gut auf sich selbst
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