Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Haus in den Wolken

Titel: Das Haus in den Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
Vom Netzwerk:
ein neues Glasgefäß.
    Kurz danach brachen Ruby und Theo auf. Theo trug das Päckchen, während sie über das Feld zu dem Gebüsch gingen. Als Ruby sich umdrehte, sah sie Maude Quinn im Eingang des Bauernhauses stehen, eine Hand zum Abschiedsgruß erhoben, noch vergrößert und verdüstert von dem Schatten, den ihre stämmige Gestalt an die Hauswand warf.

    Hannah sah Theo und Ruby nach, wie sie über das Feld gingen. Dann erreichten sie das Gebüsch und waren verschwunden.
    Sie rieb sich das Knie, das sie sich bei ihrem Sturz aufgeschlagen hatte. Ihr Gesicht brannte von der Ohrfeige ihrer Mutter. Sie hörte, wie ihre Mutter wieder ins Haus kam und, vor sich hin summend, von einem Zimmer ins andere polterte. Hannah erkannte die Melodie, die ihre Mutter summte.

    Welch ein Freund ist unser Jesus
    Oh, wie hoch ist er erhöht!

    Hannah schauderte. Obwohl es ein warmer Tag war, wurde ihr kalt. Als sie aufblickte, stand ihre Mutter schon in der Tür. In der Hand hielt sie ein Nudelholz.
    Ihr Gesicht war wutverzerrt. »Nach allem, was ich für dich tue, blamierst du mich derart vor meinen Gästen. Nun, du weißt ja, was mit achtlosen Mädchen geschieht, nicht wahr?«
    Das Nudelholz sauste hart auf Hannahs Schultern nieder, und sie fiel zu Boden. Dann wurde sie aus dem Haus gezerrt und quer über den Hof zu einem kleinen Backsteingebäude getrieben, das am anderen Ende des Hofs lag. Die Tür ging auf, und sie wurde hineingestoßen. Dann drehte sich der Schlüssel im Schloss. Das Summen wurde schwächer, als ihre Mutter sich entfernte.
    Der Schuppen war fensterlos. Licht spendete einzig der Strahl, der durchs Schlüsselloch hereinfiel. Hannah wusste, dass es stockfinster werden würde, sobald die Nacht hereinbrach. Ihre Augen hatten sich noch nicht an die Dunkelheit gewöhnt, und sie konnte nur ertasten, wo sie war und was sie umgab. Sie hockte sich an die Wand und zog den Rock über ihre hochgezogenen Knie.
    Was war es für ein schöner Tag gewesen, bis sie das Glas mit den Schnüren hatte fallen lassen! Ruby und Theo waren zu Besuch gekommen, ihre Mutter war nicht böse auf sie gewesen, und die Musik hatte so schön geklungen. Und dann hatte sie alles verdorben. Die dumme, dumme Hannah, die immer alles falsch machte. Sie kniff sich, bis es wehtat. Es war ihre Schuld, dass der Tag verdorben war, ihre eigene Schuld, dass ihre Mutter sie geschlagen und in den Schuppen gesperrt hatte.
    Hannah, die ein Einzelkind war, kannte niemanden außer den Dienstboten und den Knechten und Mägden von Nineveh. Ihre Schulzeit war kurz gewesen: Sie hatte sich ausgegrenzt und unbehaglich gefühlt, von allen angestarrt, eben anders , und sie wusste ja auch, dass sie unscheinbar und nicht allzu klug war. Sie hatte es deshalb als Erleichterung empfunden, als ihre Mutter sagte, dass sie nicht mehr zur Schule gehen müsse. Sie hatte das Misstrauen ihrer Mutter gegen alles Fremde mit der Muttermilch aufgesogen; wenn sie ab und zu eine Besorgung in einem Laden in Manea machen musste, fühlte sie sich stets angestarrt; ihr Mund wurde trocken, und sie begann zu stammeln, sobald sie ihre Einkaufsliste vorlesen sollte. Obwohl ihr auch vieles auf Nineveh Furcht einflößte, ängstigte es sie doch genauso sehr, den Bauernhof zu verlassen.
    Vertraut war sie nur mit dem Bauernhaus und dem Land, das es umgab. Das Land, das ständig der Gefahr der Überschwemmung ausgesetzt war, wurde durch ein ausgeklügeltes System von Pumpen und Ablaufgräben geschützt. Hannah kannte den geraden, wasserreichen Fluss Old Bedford, der das Land von Nineveh an einer Seite begrenzte, und den tiefen Kanal, der neunzehn Meilen lang parallel dazu verlief. Jeden Winter sah sie, wie sich die Flut über die Wiesen ausbreitete und die Wildvögel über dieses spiegelglatte, landeinwärts liegende Meer dahinflogen.
    Hannah war zehn Jahre alt und kannte den Rhythmus der Tage und den Rhythmus der Jahreszeiten. Ihre Mutter verließ den Bauernhof kaum einmal, denn Maude Quinn machte keine Besuche. Der Pastor, ihr Anwalt und die wenigen Nachbarn, die sie als standesgemäß betrachtete, besuchten sie. Ihre Ausflüge in die Welt draußen waren stets Anlässen von Gewicht geschuldet, veranlasst durch Katastrophen – eine unbezahlte Rechnung, eine Beleidigung. Dann wurde der Dogcart aus der Scheune geholt, und Maude fuhr, angetan mit ihrem

Weitere Kostenlose Bücher