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Das Haus in den Wolken

Titel: Das Haus in den Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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schwarzen Gabardinemantel und einem mit grünschwarzen Federn verzierten Glockenhut, davon. Wenn ihre Mutter fort war, empfand Hannah Furcht und Befreiung zugleich. Die fast greifbare Spannung, die stets über Nineveh lag, verschwand zusammen mit dem Dogcart. Hannah konnte quer über den Hof spazieren ohne die Angst, sich eine Ohrfeige einzuhandeln, weil sie beim Gehen die Füße nicht hob; sie hätte sich sogar hinten im Haus in den Schaukelstuhl ihrer Mutter setzen und zusehen können, wie die Sonne hinter dem Obstgarten versank. Doch nie konnte sie wissen, ob ihre Mutter bei ihrer Rückkehr triumphieren würde, weil sie einen Feind besiegt hatte, oder wutentbrannt toben würde, weil sie auf Anmaßung und Widerstand gestoßen war.
    Im Dunkeln wischte etwas Weiches, Klebriges über Hannahs Gesicht. Sie erschrak. Ein Spinnennetz, sagte sie sich, es ist nur ein Spinnenetz. Ein fauliger Pilzgeruch hing in der Luft. In panischer Furcht vor irgendeinem namenlosen Schrecken und aus Angst vor jedem Schritt kroch Hannah dem Licht entgegen. Morgen bin ich brav, murmelte sie. Morgen mache ich alles richtig. Sie setzte sich auf den bloßen Erdboden, die Knie an die Brust gezogen und hielt sich die Ohren zu, um die Stimmen nicht zu hören. Sie starrte zu dem Lichtstrahl hinauf.
    Dann begann sie vor sich hin zu singen:

    Welch ein Freund ist unser Jesus
    Oh, wie hoch ist er erhöht!
    Er hat uns mit Gott versöhnet
    Und vertritt uns im Gebet!

    Theo sagte gar nichts. Es war, dachte Ruby, als wartete man darauf, dass ein lange dräuendes Gewitter endlich losbrach. Doch er schwieg, bis sie das Gebüsch erreicht hatten. Dann erst begann er zu sprechen.
    Â»Großer Gott, Ruby, du hast wirklich höchst seltsame Verwandte.«
    Â»Du findest es vermutlich komisch –«
    Â»Nein, keineswegs. Dieses arme Mädchen.«
    Ruby dachte daran, wie Tante Maude Hannah geschlagen und dann die abgeschnittenen Schnurenden in ein Glas gelegt hatte. Wozu nur hob jemand so kurze Enden Schur auf?
    Und dann fügte Theo zu ihrer Überraschung hinzu: »Mach dir keine Sorgen, ich erzähle den anderen nichts.«
    Ruby starrte ihn an. »Ehrlich nicht?«
    Â»Ich verspreche es.«
    Â»Auch Philip nicht?«
    Â»Nicht ein Wort.« Und im Tonfall von Tante Maude fuhr er fort: »Wir haben alle unser Kreuz zu tragen.« Ruby prustete. »Und dein Kreuz sind verrückte Tanten, fürchte ich, Ruby. Despotisch… das könnte glatt mein Wort des Tages werden.«
    Â»Du suchst dir ein Wort des Tages?«
    Â»Immer. Du nicht?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich könnte ja vielleicht damit anfangen.«
    Â»Würdest du sagen, dass deine Tante despotisch ist?«
    Â»Was heißt das denn?«
    Â»Tyrannisch… unterdrückerisch…«
    Â»Dann ist Tante Maude ganz furchtbar despotisch.«
    Â»Als ich das Gewehr gesehen habe…«
    Â»Du hattest Angst, stimmt’s, Theo?«
    Â»Es war ein schrecklicher Moment.«
    Jetzt, da sich die Anspannung gelöst hatte, musste Ruby plötzlich lachen. »Hast du gedacht, wir müssten um unser Leben rennen?«
    Â»Ein Weps… wieso wollte sie auf eine Wespe schießen?«
    Â»Doch nicht Wespe, Theo. Wepps.« Sie buchstabierte den Namen. »Das sind Nachbarn. Tante Maude und die Wepps liegen sich schon seit Jahren in den Haaren.« Sie kicherte. »Traktoren… dass du ihr erzählt hast, du würdest dich für Traktoren interessieren…«
    Â»Vielleicht tue ich das ja.«
    Erneut lachte sie. Sie fühlte sich immer leichter, je weiter sie sich von Nineveh entfernte, so als hätte sie ein schweres Gepäckstück abgestellt. Und was für eine Überraschung, dass Theo, von allen ausgerechnet er, es verstand.
    Im Zug holte Theo seinen Skizzenblock aus seiner Segeltuchtasche, und Ruby sah zu, wie der Bleistift in seiner Hand über das Papier huschte. Die ebenen schwarzen Felder zogen vorüber, und die Isle of Ely wurde zu einer fernen grauen Luftspiegelung.
    Sie hatten Cambridge beinahe erreicht, da sagte Theo: »Ist dir aufgefallen, dass deine Cousine, als sie weinte, keinen einzigen Laut von sich gegeben hat?« Nein, es war ihr nicht aufgefallen, dachte Ruby, aber Theo hatte recht. Wie froh war sie, dass sie nicht auf Nineveh bei ihrer Tante Maude leben musste, und wie unglaublich erleichtert war sie, dass sie zu den Finboroughs, dass sie nach Hause

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