Das Haus in den Wolken
trat. Sie war groÃ, und viele ihrer Tanzpartner waren kleiner als sie, die einen so schüchtern, dass sie kaum einen Ton herausbrachten, die anderen eingebildete Langweiler. Wenn sie am Buffet aus labberigen Sandwiches und schwammigen Vol-au-vents Schlange stand, hätte sie manchmal am liebsten laut geschrien, oder sie wünschte sich, die Erde würde sich auftun und sie samt Buffet und Tanzkapelle verschlingen.
Die Anträge, die ihr gemacht wurden, waren albern, absurd, unmöglich. In der Bibliothek eines Hauses in Shropshire kniete ein adeliger Herr, der vierzig Jahre älter war als sie, mit knirschenden Gelenken vor ihr nieder und bat sie, seine Frau zu werden, während sie sich, hin und her gerissen zwischen peinlicher Verlegenheit und dem Wunsch, laut herauszulachen, auf die Lippe biss. Ein ehemaliger Klassenkamerad von Theo versuchte nach einem Tennismatch, sie zu küssen. Sag mal, hättest du nicht Lust, mich zu heiraten? Als planten sie ein Picknick oder einen Ausï¬ug ans Meer. Nette, bis über beide Ohren verliebte Jungen baten sie um ihre Hand; angesichts ihrer offenkundigen Qualen von Mitleid ergriffen, sah sie sich ï¬Ã¼chtig in einem gemütlichen, mit Chintz ausgestatteten Haus, wo sie kleine Abendessen für die Kollegen ihres Mannes ausrichtete und Gemeindearbeit tat.
Andere Verehrer versprachen ihr Schlösser in Schottland oder Villen in Südfrankreich, was vielleicht ganz lustig gewesen wäre, fand Sara, hätte sie sie nicht mit einem unglaublich faden Ehemann teilen müssen. Nicht einer von ihnen, vertraute sie Ruby an, besaà auch nur einen Funken â sie suchte krampfhaft nach dem passenden Wort â Pï¬ff? Ausstrahlung? â nun, eben von dem, was ihr Herz erobern könnte. Wären ihre Anbeter der Beachtung wert gewesen, so hätte sie sich bei Ruby gewiss nicht über sie lustig gemacht; hätte sicherlich nicht ihr Stottern und Stammeln, ihre nervösen Tics nachgemacht.
Ruby war in diesem Jahr bei den Finboroughs ausgezogen. Sie arbeitete als Bürokraft im Arbeitsministerium und wohnte in einer Pension in der Fulham Road. Sie trug jetzt schwarze Pullis oder schlichte Blusen in knalligen Farben und bürstete sich das kurze Haar aus dem Gesicht, sodass es ihr in einer sanften Welle über die Ohren ï¬el. Sie benutzte Puder und Lippenstift, sie rauchte, ging allein ins Kino und streifte ohne Begleitung in London herum. Ihr Zimmer in der Pension hatte einen Gasring, auf dem sie sich Bohnen in TomatensoÃe warm machte und Kaffeewasser kochte. An den Fenstern hingen Vorhänge aus Juteleinen, und vom Boden ragten Türme in Antiquariaten gekaufter Bücher in die Höhe; ein Berg bunter Kissen machte aus dem Bett ein Sofa. In den anderen Räumen in Rubys Haus wohnten zwielichtige Männer, die an ihren offenen Zimmertüren standen und rauchten und Sara mit Blicken verfolgten, wenn sie die drei Treppen hinaufging. Manchmal riefen sie ihr zu, wollten sie ins Kino oder zum Essen einladen.
»Das ist wirklich nett von Ihnen, aber ich kann leider nicht«, sagte sie stets höflich.
Oft war Rubys Zimmer voller Freunde, wenn Sara kam, so bunt zusammengewürfelt wie der Kissenhaufen auf dem Bett, dachte Sara. Sie fragte sich, ob Ruby sie wegen ihrer Unterschiedlichkeit und Vielfalt wählte. Chemiestudenten unterhielten sich mit Buchhaltern; ein italienischer Eisverkäufer hockte auf dem Boden zwischen einem Flötisten und einem Mädchen, das als Mannequin in einem Warenhaus arbeitete. Von den Männern trugen manche Anzüge, andere Kordhosen und Flanellhemden mit offenem Kragen. Einige von Rubys Freundinnen waren konventionell in kleine Kostümchen gekleidet, billige Versionen der Tweedkostüme, die Sara anzog, wenn sie aufs Land fuhr; aber andere hatten lange Drillichhosen an oder lose hängende groà geblümte Kleider, unter deren Röcken nackte Beine und schmuddelige FüÃe in Sandalen hervorsahen. Sara saà neben Ruby auf dem Bett, während sie schwarzen Kaffee tranken, Zigaretten rauchten und über Politik und Literatur diskutierten.
Literatur war ganz in Ordnung â da kannten die Finboroughs sich aus â, aber von Politik hatte Sara keine Ahnung. Bei manchen Gesprächen, an denen sich Ruby so lebhaft beteiligte wie die anderen, musste Sara sich mit der Rolle der Zuhörerin begnügen. Meistens endete es damit, dass sie Kaffee kochte, während die anderen
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