Das Haus in den Wolken
wie lange sind Sie schon in England?«
»Seit drei Monaten. Ich bin zum Studium hergekommen. Ich studiere Architektur, wissen Sie. Ich möchte einmal tolle Häuser bauen â keine Prachtbauten, sondern solche, in denen die Menschen gerne leben.« Er sah sie an. »Und Sie, Miss Finborough? Was machen Sie?«
»Ich reite und spiele Tennis, und manchmal gehe ich zu grässlichen Festen.« Es klang etwas dünn, fand sie.
»Mögen Sie Feste nicht?«
»Eigentlich nicht, nein. Und Sie?«
»Das kommt darauf an, wer da ist. Mit den richtigen Leuten kann ein Fest etwas Herrliches sein. Meinen Sie nicht auch?«
Sie hörte das Donnern eines Motorrads und sah Philip an den Bordstein fahren und anhalten. »Vielleicht, ja«, sagte sie. »Es war schön, mit Ihnen zu sprechen, Mr. Wolff. Auf Wiedersehen.«
Sara saà neben Ruby auf dem Bett. Sie lackierten sich die Fingernägel grün. »Theo ist da. Zuerst haben wir ihn gar nicht erkannt. Er sah aus wie ein Seeräuber. Mama hat ihn zum Haareschneiden und Rasieren geschickt, bevor Dad nach Hause kam. Er hat erzählt, dass er Picasso und Max Jacob beim Essen im Le Boeuf sur le Toit gesehen hat. Sein Französisch ist jetzt tausendmal besser als früher, und die Zigaretten, die er raucht, stinken einfach widerlich.«
Theo führte Ruby zum Essen aus. Er war braun gebrannt und mager und wirkte dadurch sehnig wie ein geschmeidiges Raubtier. In einem italienischen Café in der Greek Street quetschte Ruby ihn aus.
»Wie ist Paris?«
»Phantastisch. Du solltest hinfahren.«
»Das tue ich eines Tages. Hast du in einer kalten Mansarde gehungert?«
»Nicht in einer Mansarde. Am Strand in der Bretagne â ich hatte vierzehn Tage lang kein Dach über dem Kopf. Ich kann dir sagen, auf Sand zu schlafen ist verdammt unbequem.«
»Hast du eine Freundin?«
»Ja.«
»Wie heiÃt sie?«
»Céline.«
»Und wie ist sie?«
»Dunkel â zierlich. Sie tanzt an der Pariser Oper. Sie ist noch nicht aus Paris herausgekommen und will auch nicht weg.«
»Scheint mir nicht gerade die Richtige für dich zu sein. Warst du mit ihr im Bett?«
Theo wickelte Spaghetti um seine Gabel. »Das geht dich aber mal gar nichts an, Ruby Chance.«
Sie beugte sich über den Tisch. »Ich möchte doch nur wissen, wie es ist. Keiner sagtâs mir â höchstens Männer, die mit mir ins Bett wollen, und denen traue ich nicht.«
»Du wirst es noch früh genug erfahren.«
»Du bist gemein. Bist du schon ein berühmter Maler, Theo?«
»Leider nicht.«
»Aber du wirst mal einer?«
»Nein, das glaube ich nicht.« Obwohl er in leichtem Ton sprach, bemerkte sie eine Härte an ihm, als müsste er sich wappnen. »Ich habe festgestellt, dass ich gut zeichnen kann, aber das ist auch alles.«
»Kommst du dann wieder nach Hause?«
Er schüttelte den Kopf. »Im Herbst gehe ich auf dem Mittelmeer segeln.«
»Allein?«
»Vielleicht. Mal sehen, wer mitkommt.«
Theo füllte ihre Gläser auf. »Was macht die Arbeit?«
»Ach, die ist ganz in Ordnung. Ich mache die Ablage, telefoniere und tippe Briefe. Und manchmal ackere ich mich durch irgendeinen dicken Schmöker, um die Antwort auf eine knifflige Verfahrensfrage zu ï¬nden. Mir gefällt es. Wahrscheinlich spricht es meinen Ordnungssinn an.«
»Und wie geht es deiner Mutter?«
»Oh, sehr gut.«
»Was treibt die ï¬ese alte Tante Maude?«
Ruby zog ein Gesicht. »Das Gleiche wie immer, nehme ich an. Ich habe sie lange nicht gesehen.«
»Und Hannah?«
»Lässt den Kopf hängen, vermute ich. So sehe ich sie jedenfalls immer â mit hängendem Kopf.«
Er zog die geraden dunklen Brauen hoch. »Du solltest nett zu ihr sein.«
»Warum denn?« Sie sah ihn zornig an. »Weil sie zufällig meine Cousine ist? Weil Blut dicker ist als Wasser? In unserer Familie nicht. Bei uns lässt einer den anderen sitzen. Wir hauen ab, ohne eine Adresse zu hinterlassen, das weiÃt du doch.«
Er sah sie mit kühlem Blick an. »Du solltest nett zu Hannah sein, weil sie das braucht.«
»Ach was, Hannah wird schon zurechtkommen. Sie wird irgendwann wahrscheinlich einen Bauern mit Strohkopf heiraten.«
Sie hörte ihre Stimme, den zynischen Spott in ihrem Ton, und schämte sich. Gereizt trank sie von ihrem Wein.
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