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Das Haus in den Wolken

Titel: Das Haus in den Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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der Firma für dich.«
    Draußen läutete es, und gleich darauf meldete das Mädchen, dass Besuch gekommen sei. Isabel ging hinaus, und Ruby blieb einen Moment in dem Durcheinander aus Lametta und Christbaumkugeln sitzen, ehe sie plötzlich den ganzen Flitter irgendwie in den Karton stopfte, ihren Mantel überzog, Tolly an die Leine nahm und Isabel zurief, sie gehe in den Park.
    Es war kalt draußen, der blassblaue Himmel frostig. Ihr Atem stieg in kleinen Wölkchen in die Luft. Sie rief Tolly, den sie von der Leine gelassen hatte, und lief den Hang hinauf zum Teich. Das Gras knisterte unter ihren Füßen, und sie dachte daran, wie sie mit Theo hier gewesen war und er ihr erzählt hatte, dass er nach Frankreich wollte. Wenn es nur so einfach wäre, hatte sie gedacht: Geld einstecken und auf zur Fähre. Gerade jetzt fehlte ihr Theo, und sie wünschte, er wäre hier, sagte ihr sein Wort zum Tage und ärgerte sie mit seinen Hänseleien. Sie verstand nicht recht, warum Isabels Frage – Hast du dir schon überlegt, was du tun willst, wenn du mit der Schule fertig bist, Ruby? – ein solches Gefühl des Ausgeschlossenseins, beinahe der Demütigung bei ihr hervorgerufen hatte, aber so war es.
    Am Ufer des Teichs blieb sie stehen. Im Schilf war das Wasser grau gefroren; vorsichtig prüfte sie mit einem Fuß, wie dick das Eis war. Da kam ihr unversehens dieser Gedanke in den Kopf, so erfrischend und prickelnd wie die kalte Luft um sie herum, so beängstigend und verlockend zugleich war die Vorstellung, sich mit ihrem ganzen Gewicht auf die Eisdecke zu stellen. Sie stand ganz still, während sie sich fragte, warum ihr der Gedanke nicht schon früher gekommen war.
    In einer Woche wurde sie achtzehn. Mit achtzehn war man erwachsen, konnte allein entscheiden, was – oder wer – man werden wollte. Von einem diffusen Wunsch besessen, sich neu zu erfinden, hatte sie nicht gewusst, was sie aus sich machen sollte. Sie hatte kein Vorbild, an dem sie sich orientieren konnte. Von ihrer Familie war niemand da. Und wenn sie auch die Finboroughs liebte, so war sie doch keine Finborough.
    Die Chances konnten nicht begeistern; die Finboroughs waren überwältigend. Sie musste beide hinter sich lassen. Man ging einfach. Man wartete nicht ab, weil es nichts abzuwarten gab. Man tat, was Theo getan hatte – man steckte etwas Geld ein und machte sich auf den Weg. Da sie kein Geld hatte, musste sie sich eine Arbeit suchen. Aber nicht als Krankenschwester – sie war keine Florence Nightingale oder Edith Cavell – und auch nicht als Lehrerin, sie hatte die Schule satt. Sie würde auch keinesfalls in der Firma arbeiten, wie Isabel vorgeschlagen hatte. Richard und Isabel machten ihre Autorität auf unterschiedliche Art geltend, aber sie besaßen beide Macht und Einfluss. Sie war den Finboroughs unendlich dankbar, doch sie hatte soeben erkannt, dass aus Dankbarkeit Abhängigkeit werden und dass Abhängigkeit eines Tages zu Unterwürfigkeit führen konnte.

    Sara waren die Gesellschaften und Feste verhasst. Wahrscheinlich, sagte sie sich, lag es in der Familie, denn ihrer Mutter ging es genauso. Bei den ersten größeren gesellschaftlichen Veranstaltungen, die Sara besuchte, fiel ihr auf, wie steif ihre Mutter im Gespräch mit anderen Gästen war, so gehemmt und gar nicht sie selbst, und wie müde und angestrengt sie aussah, wenn Dunning, der Chauffeur, sie alle in den frühen Morgenstunden nach Hause fuhr. Manchmal fand sie es absurd, dass sie beide ihre Abende mit etwas zubrachten, was sie verabscheuten.
    Saras Ernüchterung hatte viel damit zu tun, dass diesen Abenden alles Mitreißende, Zündende fehlte. In eleganten Londoner Stadtvillen oder langsam verfallenden, eigens für den Anlass von Staub und Spinnweben befreiten Landhäusern, in denen helle Stellen an den Wänden verrieten, dass ein Porträt oder eine Landschaft verhökert worden war, damit das Debüt der Tochter des Hauses bezahlt werden konnte, stieg Sara aus eiskalten Gästezimmern hinunter in triste Säle, wo Mädchen, die sie seit Jahren kannte, sich von ihren Brüdern oder Cousins und den Freunden ihrer Brüder und Cousins über die Tanzfläche lavieren ließen. Sie empfand nichts als Enttäuschung, wenn irgendein pickeliger Jüngling mit abstehenden Ohren sie herumschwenkte und ihr dabei ständig auf die Füße

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