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Das Haus in den Wolken

Titel: Das Haus in den Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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Übergang von Kinn zu Hals nicht mehr zu erkennen war; ihre Beine in den dicken braunen Garnstrümpfen hatten Form und Umfang von Ofenrohren.
    Â»Ich wollte mit dir über meinen Vater sprechen«, begann Ruby. Maude hörte auf, vor sich hin zu summen, und richtete den Blick auf Ruby. »Ich versuche, ihn ausfindig zu machen. Kannst du dich vielleicht erinnern, wann du ihn das letzte Mal gesehen hast?«
    Â»Ich bin Nicholas Chance nur das eine Mal begegnet.«
    Â»Und wann war das?«
    Â»An dem Tag, an dem er die Frechheit besaß, meine Einwilligung zu seiner Heirat mit Etta zu verlangen.«
    Â»Kannst du dich erinnern, worüber ihr geredet habt?«
    Maude kniff die Augen zusammen. »Da gab’s nicht viel zu reden. Ich habe ihn rausgeschmissen.«
    Â»Hat er damals vielleicht etwas darüber gesagt, wo er wohnte? Oder was er arbeitete? Oder bei wem er angestellt war?«
    Â»Wie ich schon sagte, da wurde nicht viel geredet.« Sie schob eine Süßigkeit in den Mund. Dann sagte sie: »Er muss natürlich noch mal hier gewesen sein.«
    Â»Wann?«
    Â»Als die beiden durchgebrannt sind. Etta hätte allein nie den Mut dazu gehabt. Sie brauchte ja immer jemanden, der ihr das Händchen hielt.« Maude verzog geringschätzig den Mund.
    Ruby hatte eine zornige Erwiderung auf der Zunge, aber sie schluckte sie hinunter. Es hatte keinen Sinn, mit Tante Maude zu streiten. Es war reine Illusion zu glauben, irgendjemand könnte sie dazu bewegen, ihre Meinung zu ändern.
    Nicht lange danach verabschiedete sich Ruby. Hannah war irgendwann während des Gesprächs aus dem Zimmer geschlüpft, und sie machte sich auf, sie zu suchen. Theo, dachte sie grollend, hatte leicht reden, wenn er sie ermahnte, freundlich zu Hannah zu sein. Er brauchte sich nicht mit Tante Maude herumzuschlagen.
    Als Ruby ihre Cousine weder in ihrem Zimmer noch in der Küche fand, zog sie ihren Mantel an, setzte ihren Hut auf und ging nach draußen. Auf den Feldern zeigte sich ein erster grüner Schimmer über der feuchten schwarzen Erde. Es hatte wieder zu regnen begonnen, und Wasser sammelte sich glänzend in den Furchen. Das Haus war von Stallgebäuden und Schuppen umgeben – manche aus Backstein, mit rostigen Wellblechdächern, andere aus Holz, mit Lehmböden oder auf Pfählen errichtet. In einer Scheune waren im dämmrigen Licht alle möglichen Gegenstände zu erkennen, manche ungewöhnlich, andere ganz alltäglich: ein halbes Dutzend Blechkübel mit durchgerosteten Böden; ein mit Spinnweben überzogener Stapel Zeitschriften; ein ausgestopfter Brachvogel mit langem, gebogenem Schnabel, einem Krummsäbel ähnlich; und eine alte Kutsche, deren schwarzem Lack und goldenen Verzierungen der Staub allen Glanz genommen hatte.
    Ruby hörte ein Geräusch. Sie trat in die Scheune und sah Hannahs erschrockenen Blick, bemerkte ihre hastige Bewegung.
    Â»Was ist das?«, fragte sie und fügte schnell hinzu: »Wenn es ein Geheimnis ist, brauchst du mir nichts zu sagen. Ich wollte mich nur verabschieden. Ich muss los, wenn ich meinen Zug erreichen will.«
    Hannah schien unschlüssig zu sein. Ihr Blick flog zum Tor. Dann flüsterte sie: » Du kannst es ruhig wissen, Ruby.« Unter einem Haufen staubiger Säcke holte sie eine alte Suppendose hervor. Als sie sie hochhob, rutschte der überlange Ärmel ihres Pullovers zurück, und Ruby bemerkte die blauen Flecken an ihrem Handgelenk.
    Â»Was hast du da gemacht, Hannah? Hast du dich verletzt?«
    Hannah zog den Ärmel herunter. »Ich bin mit der Hand in die Mangel gekommen«, murmelte sie. »Ich habe nicht aufgepasst. Ist nicht so schlimm.«
    Sie hob den Deckel von der Dose. Ruby schaute hinein: eine Pfeilspitze aus Feuerstein, ein Messingknopf und ein blau gesprenkeltes ausgeblasenes Rotkehlchenei. Hannah stopfte die rote Geldbörse in die Dose, schloss sie und schob sie wieder unter den Haufen Säcke.
    Als sie am Abend im Zug nach London saß, dachte Ruby an Tante Maude, wie sie mit ihren vom Zucker klebrigen Fingern in die Schachtel mit den Süßigkeiten gegriffen hatte. Und sie dachte an Hannahs Blechdose mit den rührenden kleinen Schätzen. Die blauen Flecken hatten sich wie ein Armband um das Handgelenk gezogen. Ich bin mit der Hand in die Mangel gekommen. Ruby versuchte, sich einen Unfall vorzustellen, der solche Spuren hinterließ, aber sie sah nur

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