Das Haus in den Wolken
Anton und sie füreinander bestimmt waren, kehrte zurück. Als sich der Wagen der Themse näherte, wurde der Nebel dichter, und im East End verlangsamte sich ihre Fahrt wegen des Gedränges der vielen Arbeiter, die aus den Fabriken und vom Hafen kamen. Sara sah aus dem Fenster und betrachtete die endlosen Zeilen kleiner, ruÃgeschwärzter Reihenhäuser, die die StraÃen säumten. In den schmalen Durchgängen hing grau gewordene, oft geï¬ickte Wäsche, lappig von der feuchten Witterung. Kinder spielten in den Gassen, und ihr Geschrei und Gelächter übertönte die Stimmen der Frauen, die mit einem Kleinkind auf der Hüfte schwatzend in ihren Haustüren standen. Der Geruch nach Pferdemist und Fish und Chips lag in der Luft, und in der Ferne ragten Kräne und Zugseile des Hafens hoch über die Dächer der groÃen Lagerhäuser hinaus.
Die Scarborough Street war eine schmale StraÃe mit kleinen Häusern, alle eng aneinandergedrängt wie Bücher in einem übervollen Regal. Das Taxi hielt an. »Da sind wir, Miss«, sagte der Fahrer. »Soll ich auf Sie warten?«
»Nein, danke.«
Sara bezahlte den Fahrer, und der Wagen verschwand um die StraÃenecke. Ein kleines Mädchen, vielleicht sechs oder sieben Jahre alt, in einem viel zu groÃen, schmutzigen Faltenrock und einem löchrigen Wollpullover starrte sie an. Ein Stück die StraÃe hinauf stand das Fuhrwerk eines Kohlenhändlers mit einem Pferd davor. Unter dem stumpfen Fell des Pferdes zeichnete sich jede Rippe ab. Sara strich ihm über die Nüstern, und das Tier antwortete mit einem gedämpften Wiehern.
Sie klopfte an die Tür eines Hauses. Als nicht geöffnet wurde, klopfte sie erneut. Nach einer Weile hörte sie Schritte, und ein dünner, dunkelhaariger Mann öffnete ihr.
»Guten Tag«, sagte Sara. »Könnte ich wohl Mr. Wolff sprechen?«
Der Mann verschwand im dunklen Inneren des Hauses. Einen Augenblick später kam er zurück und sagte ihr, dass Anton ausgegangen sei.
Sara sank der Mut. »Wissen Sie, wohin er gegangen ist?«
»Nein, nein. Tut mir leid, Lady.«
Die Tür wurde geschlossen. Sara wusste, dass sie weit von zu Hause entfernt war. Vielleicht hätte sie den Taxifahrer doch bitten sollen zu warten. Sie blickte die StraÃe hinauf und hinunter, in diesem Stadtteil von London kam vermutlich nicht allzu häuï¬g ein Taxi vorbei. Das kleine Mädchen war weggelaufen, der Kohlenhändler war aus einem Durchgang getreten, auf dem Rücken einen Packen leerer Säcke, und kletterte jetzt auf das Fuhrwerk. Als das Pferd nicht sofort auf sein Rucken der Zügel reagierte, nahm er einen Stock zur Hand und schlug heftig auf das Tier ein. Sara starrte ihn entsetzt an, dann rannte sie zu dem Fuhrwerk.
»Lassen Sie das! Sehen Sie denn nicht, dass es müde ist?«
Der Kohlenhändler hielt überrascht inne. »Kümmern Sie sich um Ihren eignen Kram, Herzogin«, gab er zurück und drosch erneut auf das Pferd ein.
»Hören Sie auf! Sie tun ihm weh!«
Der Kohlenhändler ï¬uchte, das Pferd setzte sich in Gang, voller Verzweiflung, wie Sara zu spüren meinte. Hinter ihr rief jemand ihren Namen. Als sie sich umdrehte, stand Anton vor ihr.
»Dieser schreckliche Mann â er hat das arme Pferd geschlagenâ¦Â«
Anton fasste sie beim Arm und führte sie weg von dem Pferd und dem Fuhrwerk. »Sara, was tust du hier?«
»Ich wollte dich besuchen.«
»Du hättest nicht kommen sollen. Du musst gehen. Bist du mit dem Taxi hergefahren? Wo ist das Taxi?«
»Ich habe es weggeschickt.«
»Dann besorge ich dir ein anderes.«
Sie begann zu weinen â erst dieser entsetzliche Mann, der sein Pferd schlug, und jetzt Antons Verärgerung, seine Distanz.
Anton stöhnte. »Oh Gott, Sara, wein doch nicht, bitte, wein doch nicht.« Er murmelte etwas auf Deutsch vor sich hin. Dann sagte er: »Komm lieber erst einmal mit rein. Hier, komm mit mir.«
Seltsame Gerüche â nach Kohl, Gewürzen und ungelüfteten Kleidern â drangen auf sie ein, während sie die Treppe hinaufstieg. Im zweiten Stock öffnete er die Tür zu einem Zimmer, und sie gingen hinein.
»Ich wollte nicht, dass du das hier siehst«, sagte er.
»Es macht mir nichts aus.«
»Aber mir.« Er klang wütend.
Die wenigen Möbel standen dicht gedrängt. Von einer Wand, die dunkel
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