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Das Haus in den Wolken

Titel: Das Haus in den Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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arbeitete, erschienen ihr wie eine Pyramide, deren Grund mit fleißigen Mädchen wie sie selbst und einigen unverheirateten älteren Frauen angefüllt war; je höher die Pyramide stieg, desto mehr verdunkelte sie sich mit Männern in schwarzen Anzügen, bis man schließlich an ihrer Spitze zu einem riesigen, mit Teppichen ausgelegten Büro kam, in dem ein hoheitsvoller Furcht einflößender Gentleman mit Schnurrbart und Monokel saß, der anscheinend zu wichtig war, um Ruby bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen er im Flur an ihr vorbeiging, auch nur zu bemerken.
    Eines Abends saß ein Bildhauer namens Kit, der in einem der Zimmer unter ihr wohnte und manchmal eher halbherzig versuchte, sie dazu zu überreden, mit ihm zu schlafen, bei Ruby im Zimmer, trank Kaffee und sprach über sich selbst. Sie hatte den Koffer ihres Vaters unter dem Bett hervorgezogen und sah die Kleider und Papiere durch – die Entlassung aus der Armee, Lohnzettel, eine Menükarte von einem Regimentsdinner.
    Â»Was tust du da?«, fragte Kit.
    Â»Vielleicht habe ich etwas übersehen. Schon gut, ich höre zu, erzähl weiter.«
    Â»Wenn ich aus meinem Zimmer rausfliege, weiß ich nicht, was ich tun soll.«
    Â»Warum solltest du rausfliegen?«
    Â»Ich habe dir doch gerade erzählt, dass ich nicht genug Geld für die Miete habe. Du könntest mir wohl nicht ein paar Shilling leihen, Ruby?«
    Â»Nein«, sagte sie entschlossen, schob die Papiere beiseite und nahm die Briefe heraus, die mit einem Band zu einem Bündel verschnürt waren. »Du könntest dir eine Arbeit suchen, Kit.«
    Â»Guter Gott, nein. Ich hatte eigentlich eine andere Idee. Ich könnte mein Atelier doch tagsüber an einen anderen Künstler vermieten. Ich arbeite sowieso lieber nachts.«
    Â»Und wo willst du dann hin?«
    Â»Ich würde bei Daisy Mae bleiben. Wir stehen ohnehin nie vor Mittag auf. Was hältst du davon?«
    Â»Gute Idee.«
    Kit spähte auf die Umschläge und fragte neugierig: »Von wem sind die denn?«
    Â»Alle von Freunden. Dad scheint keine Verwandten gehabt zu haben.« Sie war nach Buckland gefahren, wo ihr Vater geboren worden war, und hatte einen Hufschmied aufgespürt, der sich an ihren Vater erinnerte. Er hatte bestätigt, was sie schon wusste: dass die Eltern ihres Vaters beide tot waren. Und in der Umgebung gab es sonst keine Verwandten der Familie Chance.
    Â»Ich habe auch keinen einzigen Menschen, der sich um mich kümmert«, sagte Kit selbstmitleidig.
    Â»Unsinn, Kit, du weißt sehr genau, dass du Dutzende von Verwandten hast. Du sprichst nur nicht mit ihnen.«
    Ruby ließ das Tagebuch liegen, das sie bereits bis in die letzten Einzelheiten studiert hatte, und machte weiter mit den alten Jacketts, Hemden und Westen. Eigentlich widerstrebte es ihr, dachte sie, als sie das erste Stück hochhob. Kleider waren etwas so Persönliches und enthielten so viele Erinnerungen. Wenn ihre Hand in eine Tasche glitt oder sie das Etikett an einem Kragen musterte, hatte sie jedes Mal das Gefühl, in die Privatsphäre ihres Vaters einzudringen.
    Es waren nicht viele Kleidungsstücke, aber die wenigen waren von guter Qualität. Nicholas Chance war immer schick und gepflegt gewesen; wie seine Tochter hatte er Kleidung stets wichtig genommen. Wenn er freiwillig gegangen wäre, dachte sie, hätte er seine Seidenweste mitgenommen.
    Â»Du solltest das Zeug verkaufen«, sagte Kit. »Deshalb bist du so zurückhaltend, Ruby, du lebst zu sehr in der Vergangenheit.«
    Aus einer kleinen, versteckten Westentasche zog sie ein Stück Papier. »Ich bin nicht zurückhaltend«, erwiderte sie abgelenkt, denn was sie da in der Hand hielt, war ein Eisenbahnfahrschein nach Salisbury.
    Â»Dann geh mit mir ins Bett«, rief Kit triumphierend, während Ruby schon das Tagebuch durchblätterte, um noch einmal bestätigt zu sehen, was sie bereits wusste: Keine der darin aufgelisteten Adressen war in Salisbury.
    Kit streichelte ihr Knie. Sie schob seine Hand weg. »Zeit, dass du gehst, es ist schon spät.« Dann legte sie die Kleider zusammen und tat sie zurück in den Koffer.
    An den folgenden Tagen musste sie immer wieder über den Eisenbahnfahrschein nachdenken. Warum hatte ihr Vater einen Fahrschein nach Salisbury gekauft? Als Handlungsreisender war er nur in Reading und der näheren Umgebung tätig

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