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Das Haus in den Wolken

Titel: Das Haus in den Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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von Feuchtigkeit war, blätterte die Farbe ab. Der kleine Schrank und der Koffer, den sie unter dem Bett entdeckte, mussten alle seine Habseligkeiten enthalten. Sie fragte sich, wie man in einem solchen Zimmer wohnen, wie man sich hier jemals wohlfühlen konnte.
    Â»Ich mache uns einen Kaffee«, sagte Anton und setzte einen Metalltopf auf den Gasbrenner. »Sogar dieser Ort hat seinen Charme«, fuhr er leichthin fort. »Sieh nur, durch das Fenster hat man einen Blick auf den Hafen. Am Abend wirken die Lichter an den Kränen und auf den Schiffen geradezu zauberhaft.«
    Â»Warum kommst du nicht mehr zu Ruby?«, fragte sie flüsternd.
    Ein Seufzen. »Ich hielt es für das Beste, wenn wir uns nicht mehr sehen.«
    Â»Aber warum soll es das Beste für uns sein, Liebling?«
    Er machte den Kaffee und reichte ihr eine Tasse. Dann setzte er sich aufs Bett. »Hör mir zu, Sara. Vor zwanzig Jahren, vor dem Großen Krieg, waren die Wolffs eine anständige Familie in Wien. Anständig …« Fragend sah er sie an. »Ist das das richtige Wort? Ich meine, nicht eine bedeutende oder vornehme oder gar reiche Familie, sondern eine anständige, geachtete Familie, eine Familie von Ärzten, Architekten und Professoren. Eine Familie mit vielen Freunden und einem schönen Zuhause.«
    Â»Angesehen«, murmelte sie.
    Â»Ja. Die Wolffs waren eine angesehene Familie. Wir hatten eine Wohnung in Favoriten, einem guten Stadtteil von Wien. Dann kam der Krieg, und alles änderte sich. Meine beiden Onkel sind gefallen, meine Mutter starb während der Hungersnot, die auf den Krieg folgte. Viele Familien haben in dieser Zeit alles verloren. Aber mein Vater – mein Vater ist ein Idealist. Er sah im Krieg und in seinen Folgen die Gelegenheit, eine bessere Welt zu schaffen. Er arbeitete weiterhin als Architekt, aber anstatt große Stadtvillen zu bauen, entwarf er Häuser für gewöhnliche Leute. Ich habe dir vom Karl-Marx-Hof erzählt – in diesen Jahren wurden noch viele andere solcher Wohnsiedlungen gebaut, und einige davon hat mein Vater entworfen. Die Lage in Wien war schwierig, doch auch wenn die Umstände nicht mehr dieselben waren wie vor dem Krieg, so kamen wir doch zurecht. Mein Vater gab alles Geld, das er besaß, für meine Ausbildung aus. Ich verließ die Schule mit einem Abschluss, der mir erlaubte, an die Universität zu gehen.«
    Â»Und dann?«
    Â»Mein Vater hatte schon im Börsencrash von 1929 Geld verloren. Als 1931 die Wiener Kreditanstalt zusammenbrach, war auch das wenige, das er noch besaß, weg. Wir mussten ausziehen und uns eine kleinere Wohnung suchen. Ich verließ die Universität, um zu arbeiten – ich verdiente Geld, so gut es ging. Und dann brach der Bürgerkrieg aus.«
    Â»War das, als man dich ins Gefängnis gesteckt hat?«
    Â»Ruby hat es dir erzählt? Ja. Die Anzeige war natürlich haltlos – viele Leute wurden damals aufgrund falscher Beschuldigungen eingesperrt.«
    Â»Wie schrecklich.«
    Er zuckte die Achseln. »Ich kann enge Räume nicht ertragen – das konnte ich noch nie.« Mit einem kläglichen Blick sah er sich um. »Dieses Zimmer ist so klein, dass ich die Wände am liebsten auseinanderschieben würde. Vielleicht will ich deshalb Gebäude mit großen hellen Fenstern, weiten Räumen und ohne dunkle Ecken bauen. Ja, eingesperrt zu sein war schrecklich. Nach einigen Wochen wurden mein Vater und ich wieder freigelassen. Sie hatten keine Beweise gegen uns.«
    Â»Und dann bist du hierhergekommen?«
    Â»Ja. Wie ich dir erzählt habe, versuchte ich, meinen Vater zu überreden, mit nach England zu kommen. Aber er hat abgelehnt.«
    Â»Und dann bist du mir begegnet.«
    Sein Blick ruhte plötzlich auf ihr. »Seit ich dich kenne, habe ich kein Heimweh mehr.«
    Â»Und dennoch willst du mich nicht mehr sehen. Ich verstehe das nicht.«
    Â»Ich habe versucht, es dir zu erklären.«
    Â»Dass deine Familie schwere Zeiten durchgemacht hat – das tut mir sehr leid, Anton, und es muss sehr hart gewesen sein. Aber es erklärt gar nichts!«
    Er stand auf und trat ans Fenster. Mit dem Rücken zu ihr sprach er ausdruckslos weiter: »Ich habe Ruby nach deiner Familie gefragt. Sie hat mir von deinem Vater erzählt, dem reichen Industriellen; von deiner Mutter, der großen Schönheit, der ich ja begegnet bin; und von deinem Bruder, der

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