Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Haus in den Wolken

Titel: Das Haus in den Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
Vom Netzwerk:
gewesen. Was ist, wenn du etwas Unangenehmes herausbekommst, etwas, was du vielleicht lieber nicht gewusst hättest? In Wirklichkeit hatte Theo gemeint: Was ist, wenn sie herausfand, dass ihr Vater ihre Mutter wegen einer anderen verlassen hatte? Was ist, wenn er eine andere Frau geliebt hatte?

    Zwei Wochen später nahm Ruby sich einen Tag frei und fuhr nach Salisbury. Als sie am Bahnhof ankam und durch die Stadt ging, musterte sie unwillkürlich die Gesichter der Passanten, so wie sie es immer tat, und hielt Ausschau nach seinem Gesicht.
    Es war Markttag. An einem Stand kaufte sie einen Apfel und aß ihn auf dem Weg zur öffentlichen Bibliothek. Wenn ihr Vater eine Geliebte hatte – falls er ihre Mutter wegen einer anderen verlassen hatte –, dann hatte seine Geliebte, um den Schein zu wahren, vielleicht seinen Namen angenommen und lebte unter dem Namen Chance. Chance war ein ungewöhnlicher Name; Ruby fand, als sie in der Bibliothek das Telefonbuch studierte, nur zwei Einträge: von einem Mr. Harry Chance und einer Mrs. C. Chance. Kein Nicholas Chance. Eine dumpfe Enttäuschung befiel sie, die ihr auf der Suche nach ihrem Vater nur allzu vertraut geworden war.
    Nachdem sie sich eine Karte angesehen und festgestellt hatte, dass Harry Chance in einem Dorf nördlich der Stadt wohnte, beschloss sie, zuerst die näher liegende Adresse aufzusuchen. Mrs. Chance wohnte in der Moberly Road. Als Ruby die Castle Street, eine breite, hügelan führende Durchgangsstraße, entlangging, kamen ihr allerlei Befürchtungen. Mrs. C. Chance war bestimmt eine respektable siebzigjährige Witwe, vielleicht war sie zum Einkaufen unterwegs oder sogar auf Reisen. Und selbst wenn sie zu Hause war, was um Himmels willen sollte sie zu ihr sagen?
    Die Moberly Road war gesäumt von behäbigen Klinkerhäusern. Als sie Mrs. Chance’ Hausnummer erreichte, sah Ruby eine Frau im Garten arbeiten. Sie kniete am Rand eines Rasenstücks und stach mit einem Handspaten Blumenzwiebeln aus der Erde, die sie vorsichtig auf einem Blatt Zeitungspapier ablegte. Die Frau trug einen braunen Rock und eine saphirblaue Bluse, ihr dunkles Haar war mit einem rot-weißen Seidenschal hochgebunden. Sie war vielleicht Mitte dreißig.
    Als sie Ruby entdeckte, sagte sie: »Mühsam, diese Narzissenzwiebeln auszugraben, aber ich mag die verwelkten Blütenblätter nicht. Kann ich Ihnen vielleicht behilflich sein?«
    Â»Sind Sie Mrs. Chance?«
    Â»Ja.« Die Frau stand auf.
    Â»Ich bin auf der Suche nach einem Mr. Nicholas Chance.«
    Der Name ihres Vaters hatte eine außerordentliche Wirkung auf Mrs. Chance. Sie wurde sehr bleich und still. Dann runzelte sie heftig die Stirn. »Na, das bin ich auch, meine Liebe.« Sie stieß ein hartes Lachen aus. »Und das schon seit langer Zeit. Ich würde sagen, lassen Sie es mich wissen, wenn Sie ihn gefunden haben. Aber ich glaube, inzwischen ist es mir schon egal.«
    In Romanen hatte Ruby oft den Satz gelesen, dass der Heldin die Haare zu Berge stünden, was sie immer recht albern gefunden und eher für eine Umschreibung von Furcht oder Schrecken gehalten hatte als für eine echte körperliche Reaktion. Doch jetzt verspürte sie ein seltsames Gefühl; als wäre sie in Eiswasser getaucht worden, kroch ihr ein kalter Schauder über die Haut, auf der sich sämtliche Haare aufzustellen schienen.
    Sie flüsterte: »Kennen Sie ihn?«
    Â»Natürlich kenne ich – kannte ich – Nicky.« Ihr Lächeln schwand. »Oder ich dachte es jedenfalls.«
    Nicky, dachte Ruby. Niemand hatte ihren Vater je Nicky genannt.
    Â»Wer sind Sie?« Jetzt sah auch Mrs. Chance entsetzt aus. »Warum sind Sie hierhergekommen?«
    Â»Mein Vater ist ein Freund von Mr. Chance«, sagte Ruby aufs Geratewohl. »Er hat ihn im Krieg kennengelernt und wollte Kontakt mit ihm aufnehmen. Ich dachte…«
    Ihre Erfindungsgabe ließ sie im Stich, und sie schwieg. Mrs. Chance erwiderte nichts, sondern nahm sich ein Päckchen Zigaretten und Streichhölzer von der Treppe vor der Haustür. Erst als sie sich eine Zigarette angezündet hatte, fragte sie: »Wollen Sie mir etwa erzählen, dass Ihr Vater Nicky kennt? Und dass es ihm nach so langer Zeit plötzlich eingefallen ist, nach ihm zu suchen?«
    Â»Ja.«
    Â»Warum gerade jetzt?«
    Â»Hm – es geht ihm nicht gut…«
    Â»Es tut

Weitere Kostenlose Bücher