Das Haus in den Wolken
noch Claire Wyndham. All die Jahre habe ich nicht einmal meinen eigenen Namen gekannt. Oder â oh Gott â den meiner Kinder.« Die Worte klangen benommen, bitter. »Aber Sie heiÃen Chance, oder? Und nicht so, wie auch immer Sie sich vorhin genannt haben.«
»Ich heiÃe Ruby Chance.«
Claire nickte und zog an ihrer Zigarette. »Was für ein Schock.« Die Hand, mit der sie die Zigarette hielt, zitterte. »Auch wenn es das eigentlich gar nicht sein sollte.« Noch einmal sagte sie: »Ich wusste immer, dass irgendetwas nicht stimmt. Selbst als wir noch zusammen waren. Er hat nie viel über seine Vergangenheit gesprochen. Wenn man jemanden liebt, will man doch alles vom anderen wissen, nicht? Aber Nicky blieb immer so vage . Tja, jetzt weià ich ja, warum.« Plötzlich sah sie Ruby misstrauisch an. »Weià Ihre Mutter, dass Sie hier sind? Hat sie Sie geschickt?«
»Nein, ich habe ihr nicht erzählt, dass ich nach Dad suche. Es geht ihr nicht gut.«
»Suchen Sie schon lange nach ihm, Ruby?«
»Seit Jahren«, sagte sie. Ihre Stimme klang dumpf.
»Und Sie hatten keine Ahnung von uns? Ihnen ï¬el nicht auf, dass Nicky â nein, natürlich nicht, wie denn auch?« Claire Chance presste eine Hand auf den Mund. »Das ist für Sie vermutlich ganz genauso ein Schock wie für mich. Sie armes Ding.«
Schweigen breitete sich aus, das Ruby mit der Frage brach: »Was meinen Sie, wenn Sie sagen, Sie haben immer gewusst, dass etwas nicht stimmt?«
Eine wegwerfende Handbewegung. »Ich würde nie behaupten, dass das alles nicht furchtbar undurchschaubar ist, aber ich hatte schon damals so eine Ahnung, noch ehe Nicky mich verlieÃ. All diese Wochenenden, die er weg war, angeblich auf Geschäftsreisen quer durch das Land, dabei war er doch nur ein besserer Handlungsreisender. Und trotzdem hatte er nie einen Penny übrig. Ich gebe gern zu, dass ich bei unserem Kennenlernen dachte, er wäre recht gut gestellt â er hatte so eine Art an sich, wie ein Gentleman, und er war immer groÃzügig. Aber nach unserer Heirat waren wir stets knapp bei Kasse und mussten jeden Penny zweimal umdrehen.« Bitter fügte sie hinzu: »Seit er fort ist, bin ich natürlich auch knapp bei Kasse und muss jeden Penny zweimal umdrehen â wie gut, dass ich mich frühzeitig dran gewöhnen konnte. Zwei Kinder allein aufzuziehen ist verdammt schwierig. Meine Eltern helfen mir mit der Miete und den Schulgebühren, dem Himmel sei Dank â aber dafür zahl ich auch meinen Preis, all die herablassenden Blicke und dieses Ich-habâs-dir-gleich-gesagt.«
Rauchend lehnte sie sich in ihren Sessel zurück. Claire Chance hatte ein Gesicht, dachte Ruby, das unscheinbar, ja beinahe hässlich wirken konnte, wenn sie verärgert oder unzufrieden war; wenn sie sich entspannte, sah sie jedoch lebhaft und schön aus.
Claire sprach weiter. »Aber als ich plötzlich mit Archie schwanger war, konnte ich es mir sowieso nicht mehr aussuchen, nicht wahr? Was nicht heiÃen soll, dass ich ihn nicht heiraten wollte. Ich habe ihn geliebt. Das ist ja das Schreckliche, ich habe ihn wirklich geliebt.« Sie sah tief unglücklich aus. »Er ist der einzige Mann, den ich je richtig geliebt habe. Und er hat mich auch geliebt, das weià ich.« Sie warf Ruby einen düsteren Blick zu, dann sah sie weg. »Vielleicht habe ich ihn deshalb nie zur Rede gestellt. Vielleicht wollte ich es gar nicht wissen. Es war Feigheit, nehme ich an, ich wollte nicht, dass mein Traum zerplatzt.«
»Wann hat mein Vater Sie verlassen?«
»Als Anne zwei war.« Claire runzelte die Stirn. »Also 1927. Ja, das stimmt, im Herbst 1927. Ich weià noch, dass es Herbst war, weil ich das ganze Laub selbst aufkehren musste.« Sie wandte ihren düsteren Blick wieder Ruby zu. »Und euch?«
»Wir haben ihn etwa zur gleichen Zeit zum letzten Mal gesehen.«
Ein Seufzen. »Sieht aus, als hätte er es nicht mehr ertragen, nicht? Zwei Ehefrauen, zwei Familien⦠Das muss verdammt anstrengend gewesen sein für den armen Kerl, wenn man darüber nachdenkt.« Claire wurde wütend. »Falls es nicht irgendwo versteckt noch eine dritte Familie gibt, zu der er sich verkrümelt hat. Zutrauen würde ich es ihm.«
»Wo haben Sie ihn kennengelernt?«
»In London, in der Bar eines Hotels in Charing Cross. Ich habe auf eine Freundin
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