Das Haus in den Wolken
waren, hatten nach der Beerdigung den Kontakt zu ihrer Schwiegertochter abgebrochen. Elaine bedauerte es, dass sie und Hadley keine Kinder hatten. Als eine Bekannte ihr zum Trost sagte, sie könne doch froh sein, dass sie jetzt nicht auch noch für ein Kind sorgen müsse, konnte Elaine eine zornige Erwiderung nicht unterdrücken.
Sie hatte wenig Zeit gehabt, um Hadley zu trauern; sein Tod war nur das erste einer Reihe von unglücklichen Ereignissen gewesen. Die Firma, bei der ihr Vater mehr als vierzig Jahre lang gearbeitet hatte, ï¬el der Depression zum Opfer und musste Konkurs anmelden, er stand mit siebenundfünfzig Jahren auf der StraÃe. Wenig später, zu einer Zeit, als kein Geld da war, um die Arztrechnungen zu bezahlen, war ihre Mutter schwer krank geworden. Gildas Lohn als Stenotypistin bei einer Spedition reichte kaum aus, um die Miete für das Haus und die Lebensmittel zu bezahlen.
Sobald die Lebensversicherung ausgezahlt wurde, beschloss Elaine, in ihren alten Beruf zurückzukehren, und nahm einen Teil des Geldes, um sich in den Mietvertrag für das Geschäft am Piccadilly einzukaufen. Ideal war es nicht â der Laden und der Lagerraum dahinter waren klein und seltsam geschnitten, fast rautenförmig â, aber sie vertraute darauf, dass es ihr gelingen würde, mit diesen Nachteilen fertig zu werden. Sie arbeitete beinahe Tag und Nacht, und nach einem schwierigen Anfang kam das Geschäft langsam in Schwung. Sie hatte mehrere Stammkundinnen, zum Teil Frauen, die bei Firmen in der Umgebung tätig waren, zum Teil reiche Ehefrauen, die gern in der Gegend einkauften oder sich mit Freunden zum Mittagessen trafen, und mit ihren effektvollen Schaufensterdekorationen zog sie auch Laufkundschaft an. Sie rechnete genau und konnte so nicht nur die Ladenmiete stets pünktlich bezahlen, sondern auch ihre Eltern ï¬nanziell unterstützen.
Aber diese Selbstständigkeit verlangte ihren Preis. Was für eine Ironie, dachte sie oft, dass sie während ihrer Ehe kaum gewusst hatte, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollte, und jetzt wusste sie kaum, wo sie sie hernehmen sollte. Sie arbeitete sechs Tage in der Woche, oft bis in die Nacht hinein. Sie fand wenig Gelegenheit, Freunde zu treffen â aber die Freunde aus ihrer Ehe, Hadleys Kollegen und ihre Frauen, schienen sich ohnehin in Luft aufgelöst zu haben. Sie hatte wenig mit ihnen gemeinsam. Sie fehlten ihr nicht.
Trotzdem fühlte sie sich oft einsam. Mit ihrer Heirat hatte sie sich von ihrer Familie entfernt, ohne einen Ersatz zu schaffen. Sie besuchte ihre Eltern alle vierzehn Tage, Gilda häuï¬ger. Gilda war seit drei Jahren mit einem Automechaniker in Hendon verlobt, sie würde mit Jimmy, zwei Kindern und einem Haus in der Nähe ihrer Eltern glücklich und zufrieden sein. Elaine wusste, dass sie selbst immer mehr erstrebt hatte.
Was fehlte ihr nach Hadleys Tod am meisten? Ihr fehlten der gemeinsame Spaà und das gemeinsame Lachen. Sie liebte zwar ihre Arbeit, aber die war häuï¬g anstrengend, und manchmal empfand sie die Verantwortung als Last. Ihr fehlten die körperliche Vertrautheit, die Wärme, die Nähe, der Rausch. Sprechen konnte sie darüber mit niemandem. Von einem Mann war zu erwarten, dass ihm die körperliche Liebe fehlte; bei einer anständigen Witwe hätte man das für geschmacklos und ordinär gehalten.
Sie hätte natürlich wieder heiraten können. Sie mochte Männer; sie war gern mit ihnen zusammen. Aber die Anträge, die sie in letzter Zeit erhalten hatte, hatten sie nicht gelockt â sie hatte sich nur die kleine Wohnung ins Gedächtnis rufen müssen, die ihr manchmal zum Gefängnis geworden war, um sie abzulehnen. Zweimal hatte sie sich einen Liebhaber genommen. Beide Beziehungen hatten hässlich geendet, mit gegenseitigen Vorwürfen und Beschuldigungen.
Ihre Gedanken kehrten zu Richard Finborough zurück. Er war sympathisch, intelligent und schätzte sie, ein Mann also, den sie gern zum Freund hätte. Er strahlte Stärke und Entschlossenheit aus, und das geï¬el ihr. Denn sosehr sie ihre Unabhängigkeit schätzte, sehnte sie sich doch nach jemandem, der so stark war wie sie; nach jemandem, mit dem sie ihre Probleme teilen konnte.
Aber der Mann ist verheiratet, hielt sie sich vor, als sie die Einnahmen und die Bücher in den Bürosafe sperrte. AuÃerdem ist er gierig und allzu überzeugt von sich.
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