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Das Haus in den Wolken

Titel: Das Haus in den Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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Ich sehe das in seinen Augen.

    Von den Mourne-Bergen fegte Regen herein, als Sara über den Strand ritt. Über der Bucht stand ein Regenbogen. Das Wasser weit draußen, hinter dem Sand und der Schlammzone, war so grau wie der Himmel. Ein Band aus Muscheln, Kieseln und abgeschliffenen, grau und braun geäderten Steinen zog sich durch den Sand.
    Sara fragte sich schon seit einiger Zeit, inwieweit sie selbst schuld daran war, dass Anton sie verlassen hatte. Vielleicht hätte sie mehr kämpfen sollen – vielleicht hätte sie ohne Rücksicht auf die Demütigung, die sein Brief für sie bedeutet hatte, zu ihm gehen und mit ihm reden sollen, anstatt sich in die Einsamkeit von Raheen zurückzuziehen und ihre Wunden zu lecken. Hatte sie vielleicht deshalb nichts unternommen, weil sie immer noch an dieses triste kleine Zimmer denken musste, an dieses Fremdenheim, in dem es nach Kohl und Moder roch? Der Besuch im East End hatte sie schockiert. So hatte sie London nicht gekannt; sie hatte nicht einmal gewusst, dass es so etwas gab. Hatte das, was sie da gesehen hatte, sie abgestoßen? Ein klein wenig vielleicht, ja.
    Sara trieb Philo zum Galopp an. Hinter einem Felsen stieg mit lautem Krächzen eine Krähe auf und erschreckte das Pferd. Es scheute, Sara glitten die Zügel aus den Händen, sie wurde aus dem Sattel geschleudert.
    Sie konnte nur Sekunden ohnmächtig gewesen sein. Das Dunkel lichtete sich; jemand schüttelte ihre Schulter und fragte: »Alles in Ordnung?«
    Sara öffnete die Augen. Ein Mann kniete neben ihr. Er hatte kurzes schwarzbraunes Haar und sehr dunkle Augen.
    Â»Wer sind Sie?«, murmelte sie.
    Â»Mein Name ist Gil Vernon. Ist Ihnen etwas passiert?«
    Â»Nein, alles in Ordnung.« Doch als sie sich aufsetzte, wurde ihr schwindlig, und der eine Arm tat ihr unglaublich weh.
    Â»Das war ein übler Sturz«, sagte er. »Ich glaube, Sie sind mit dem Kopf auf einen Stein aufgeschlagen.«
    Sara blinzelte. »Wo ist Philo?«
    Â»Philo? Ach so, Ihr Pferd. Das ist da drüben, heil und gesund, und frisst Gras.«
    Er nahm eine Taschenflasche aus seinem kleinen Rucksack und füllte einen Blechbecher. »Trinken Sie ruhig«, sagte er. »Ich habe ihn nicht angerührt. Ich hatte gerade erst angefangen, als ich sah, wie Ihr Pferd Sie abwarf.«
    Sara nahm den Becher mit der linken Hand und trank von dem Tee. Er war sehr heiß und sehr süß, aber sie fühlte sich schon nach wenigen Schlucken nicht mehr ganz so merkwürdig.
    Â»Angefangen womit?«, fragte sie.
    Â»Ich versuche, das Vorkommen von Ensis ensis an diesem Küstenstreifen aufzuzeichnen. Das ist die Schwertmuschel«, fügte er erklärend hinzu. »Es gibt natürlich verschiedene Arten, aber Ensis ensis kommt am häufigsten vor.« Er hob eine Muschel aus dem Sand auf und zog mit dem Finger den glatten, geraden Rand nach.
    Dann sah er sie plötzlich an, als erstaunte es ihn, sie unter den Schwertmuscheln und Wellhornschnecken entdeckt zu haben. »Fühlen Sie sich besser?«
    Â»Viel besser, ja, danke.« Sie gab ihm den Becher zurück. »Aber ich glaube, ich habe mir das Handgelenk gebrochen.«
    Â»Ach, Gott. Das ist ja dumm. Sind Sie sicher?«
    Â»Ich habe es mir früher schon einmal gebrochen, da war ich zwölf, jetzt fühlt es sich genauso an. Ist nicht so schlimm, es heilt ja wieder, es ist nur so verflixt lästig, wenn man seine Schuhe nicht selber binden kann und so.«
    Â»Wo wohnen Sie? Soll ich Hilfe holen?«
    Â»Ich bin in Raheen zu Besuch. Das ist nicht weit von hier.«
    Â»Raheen – dann sind Sie eine Finborough.«
    Â»Ja.« Sie lächelte ihn an. »Ich bin Sara Finborough. Vielleicht kennen Sie meine Großmutter, Alice Finborough.«
    Â»Ja, ich habe sie einmal kennengelernt – vor einiger Zeit…« Er bot ihr die Hand, um ihr aufzuhelfen. »Was ist mit dem Pferd?«, fragte er dann stirnrunzelnd. »Was sollen wir mit ihm machen?«
    Â»Könnten Sie es vielleicht führen, Mr. Vernon?«
    Er ging über den Sand zu Philo, der Strandhafer kauend dastand und ausnahmsweise lammfromm war. Dann marschierten sie langsam nach Raheen, Gil Vernon führte das Pferd, und Sara hielt ihr rechtes Handgelenk schützend an sich gedrückt. Um sich von den Schmerzen abzulenken, ließ Sara sich von Schwertmuscheln erzählen, welche verschiedenen Arten es gab, wie sie

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