Das Haus in den Wolken
Verhältnis von Frauen zu Zahlen reichlich herablassend gewesen war. Er gehörte offenbar zu den Männern, die glaubten, blondes Haar und ein hübsches Gesicht wären mit Intelligenz unvereinbar.
Sie seufzte. Sie hatte Richard Finboroughs Einladung angenommen, weil es ihr seit dem Tod ihres Mannes vor zweieinhalb Jahren an anregender Gesellschaft fehlte. Sie war in einem Reihenhaus in Hendon in Nordwestlondon aufgewachsen. Ihr Vater hatte bei einem Herrenausstatter gearbeitet, und ihre Mutter hatte sich um den Haushalt und die beiden Töchter, Elaine und Gilda, gekümmert. Ihre Eltern hatten hart gearbeitet für das gute Ansehen der Familie. Die Fenster hatten immer geblitzt vor Sauberkeit, die Vorhänge waren stets blütenweià gewesen, Rasen und Hecken in dem winzigen Vorgarten ordentlich geschnitten. Das gute Ansehen der Familie war für Elaines Mutter lebenswichtig gewesen. In ihren Augen gab es nur zweierlei Arten von Verhalten und Menschen: anständig und nicht anständig. Wer nicht anständig war, wurde verurteilt und gemieden.
Mit vierzehn hatte Elaine als Lehrling bei einer Putzmacherei in Hendon angefangen. Da sie intelligent und umgänglich war, kam sie rasch voran und bekam mit achtzehn eine Stellung in einem groÃen Kaufhaus im Zentrum von London. Als sie Hadley Davenport heiratete, hatte sie die ganze Hutabteilung unter sich, war für eine Anzahl wichtiger Kunden zuständig, und beim Einkauf für die nächste Saison hörte man auf ihre Meinung.
Hadley Davenport war zehn Jahre älter als Elaine, gut aussehend, liebenswürdig und vergesslich zum Verrücktwerden. Sie hatten sich an einer Volkshochschule kennengelernt, wo Elaine einen Abendkurs in Französisch besuchte, weil sie der Ansicht war, Kenntnisse in dieser Sprache, der Sprache der Mode, könnten ihr beruflich nützen. Hadley unterrichtete Geschichte für die Workersâ Educational Association. Er war ihr in der Kantine aufgefallen, weil er zwei unterschiedliche Socken anhatte, der eine blau, der andere beige. Sie hatten sich unterhalten, während sie anstanden. Das Absurde war, dass an diesem Tag sie die Vergessliche gewesen war. Sie hatte ihren Schirm auf einer Bank liegen gelassen, und er brachte ihn ihr in der folgenden Woche mit.
Sechs Monate später hatten sie geheiratet. Elaine hatte nicht erwartet, dass sie nach der Heirat ihre Arbeit vermissen würde. Aber es war so. Die Wohnung, die sie und Hadley gemietet hatten, war klein, mit dem Haushalt und der Wäsche war sie binnen zwei Stunden fertig. Einen Garten hatten sie nicht, nur einen kleinen Balkon mit ein paar Topfgeranien, und da Hadleys Gehalt keine groÃen Sprünge erlaubte, konnte sie sich die Stunden, in denen sie nichts zu tun hatte, auch nicht mit Einkaufsbummeln vertreiben. Hadley war über ihren Vorschlag, sich eine Halbtagsstelle zu suchen, so entsetzt, dass sie ihn sofort wieder fallen lieÃ. Stattdessen trat sie einer Laientheatergruppe bei und betätigte sich als Kostümschneiderin. AuÃerdem übte sie sich in der Zubereitung rafï¬nierter Gerichte, wie ihre Mutter sie nie gekocht hatte, und mit denen glänzte sie, wenn sie Hadleys Kollegen zum Abendessen einlud.
In mancher Hinsicht war ihre Ehe eine Enttäuschung, in anderer eine Offenbarung. Hadleys Zerstreutheit und seine Erscheinung â groà und dünn, mit kurzsichtigen grauen Augen hinter dicken Brillengläsern und stets unordentlichem Haar â hatten von seiner leidenschaftlichen Natur nichts ahnen lassen. Im Bett, in der Liebe mit ihm, fand Elaine die Befriedigung und die Erfüllung, die das Hausfrauendasein ihr schuldig blieb. Sie waren füreinander geschaffen gewesen und hatten einander glücklich machen können.
Durch Hadleys Tod war ihr dieses Glück genommen worden. Als der Polizist bei ihr geläutet und ihr die Nachricht überbracht hatte, dass ihr Mann bei einem Verkehrsunglück ums Leben gekommen war, hatte sie sofort gewusst, was geschehen sein musste. Hadleys Tod war eine Folge jener Vergesslichkeit gewesen, die sie so oft wütend gemacht hatte, wenn sie zu Hause nach Füller oder Brille oder anderen Dingen suchen musste, die er verlegt hatte. Er hatte vergessen, nach rechts und links zu sehen, bevor er die StraÃe überquerte, und war direkt vor einen Bus getreten.
Hadleys Eltern, die über die Heirat ihres gebildeten Sohns mit einer Verkäuferin nie erfreut gewesen
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