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Das Haus in der Löwengasse (German Edition)

Das Haus in der Löwengasse (German Edition)

Titel: Das Haus in der Löwengasse (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Schier
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fiel, und kroch unter ihre Decke. Das Licht ließ sie an, denn an Schlaf war erst einmal nicht zu denken. Sie griff nach dem Gedichtband mit den Sonetten von Shakespeare, der ihr das Einschlafen schon so manchen Abend versüßt hatte. Doch heute las sie in jedem Wort des Dichters ihre eigene Sehnsucht.
    Irgendwann legte sie das Buch beiseite. Wie hatte sich ihr Leben in so kurzer Zeit nur so unglücklich entwickeln können? Erst der viel zu frühe Tod ihres Onkels, dann die Stellung bei Buschners, von der sie sich so viel erhofft hatte. Die Annäherungsversuche des Hausherrn, auf die sie – völlig unerfahren damals – hereingefallen war.
    Sie schämte sich zutiefst für das, was zwischen ihnen vorgefallen war. Zwar ahnte sie inzwischen, dass sie dieses Schicksal mit vielen Gouvernanten und Dienstmädchen teilte, aber das machte es für sie nicht besser. Irgendwann war Buschner ihr derart zuwider gewesen, dass sie allein von seiner Berührung oder seinen Blicken Albträume bekommen hatte.
    Jetzt hatte sie es geschafft, sich von den schlimmsten Erinnerungen zu lösen. Julius war an dieser Entwicklung nicht unbeteiligt. Er hatte ihr Sicherheit gegeben. Obgleich sie nun wusste, dass er aus eigennützigen Motiven gehandelt hatte, konnte sie ihm nicht böse sein. Er war trotz allem ein Mann von Ehre. Sie wusste, dass er sie respektierte und sie niemals zwingen würde. Das musste er auch gar nicht. Die Ereignisse dieses Abends hatten ihr deutlich gezeigt, dass es wenig mehr als einer sanften Berührung bedurfte, um sie all die Dinge tun lassen zu wollen, von denen sie eigentlich gar keine Ahnung hätte haben dürfen.
    Pauline drehte sich auf die Seite und zog die Decke bis zur Nasenspitze hinauf. Morgen würde sie noch einmal mit Julius reden und ihm klarmachen, dass er um seiner Kinder willen verpflichtet war, Frieda zu heiraten. Vielleicht war es besser, wenn sie sich so bald wie möglich eine andere Stellung suchen würde. Am besten in einer anderen Stadt. Wenn sie erst einmal räumlich voneinander getrennt wären, würden die heftigen Gefühle bestimmt nachlassen und die Sehnsucht, die Paulines Herz umfasst hielt, verblassen.
    Mit einem Ruck setzte sie sich auf. Sie würde heute Nacht kein Auge zutun, so viel war sicher. Da sie vor einiger Zeit Schritte und leise Stimmen vernommen hatte, ging sie davon aus, dass Julius sich bereits in sein Zimmer zurückgezogen hatte. Sie nahm die kleine Lampe von ihrem Nachttisch, schlang sich das Tuch wieder um die Schultern und schlich auf ihren dicken Wollstrümpfen hinab in die Küche. Weil sie keinen unnötigen Lärm verursachen wollte, goss sie sich nur ein Glas von dem Apfelmost ein, den der Koch auf dem Tisch hatte stehen lassen. Im Haus war es still; lediglich das Ticken der Pendeluhr aus der Bibliothek war deutlich zu hören.
    Sie würde es vermissen, das Haus in der Löwengasse. Pauline sah sich in der ordentlich aufgeräumten Küche um. Anfangs hatte das Anwesen nicht sehr heimelig auf sie gewirkt. Und auch jetzt war es hier alles andere als gemütlich, da noch immer jeden Tag Handwerker zugange waren. Aber es war ihr trotzdem zur Heimat geworden, obgleich sie noch gar nicht lange hier lebte. Sie hatte das Haus und noch viel mehr seine Bewohner in ihr Herz geschlossen. Die Kinder begannen endlich, ihr Vertrauen entgegenzubringen. Wie schrecklich würde es für die beiden sein, wenn sie sie verlassen musste. Sie hatte ihnen versprochen, immer für sie da zu sein. Doch blieb ihr eine Wahl?
    Sie trank einen Schluck Most, dann einen zweiten. Verärgert über ihr eigensinniges Herz, stellte sie das Glas ab und verließ die Küche. Obwohl es noch immer recht winterlich war, ging sie zur Haustür und trat einige Schritte nach draußen.
    Es war windstill und der Himmel wolkenlos. Unzählige Sterne blinkten fern und kalt am Firmament. Der Mond warf ein fahles Licht auf die Zufahrt und das zur Nacht verschlossene Tor. Pauline zog das Schultertuch fester um sich und sog tief die eisige Luft in ihre Lungen.
    Sie zuckte nur ein wenig zusammen, als sie hinter sich Schritte vernahm und im nächsten Moment zwei Arme spürte, die sie von hinten umfingen. Sanft ließ Julius sein Kinn auf ihrer rechten Schulter ruhen. Sie fühlte seinen warmen Atem über ihre Wange streichen.
    «Es hat auf dich gewartet», raunte er. «Das Haus hat nur auf dich gewartet, Pauline, genau wie ich.»
    Sie antwortete ihm nicht darauf, sondern blickte angestrengt geradeaus. Seine Nähe verursachte ihr

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