Das Haus in der Löwengasse (German Edition)
Gesicht sanft mit seinen Fingerspitzen.
«Weißt du, vor dieser Frage würde ich nicht stehen», sagte er bedächtig, «wenn mir nicht seinerzeit diese entzückende Magd in Steins Laden begegnet wäre.» Als er ihre Überraschung bemerkte, lächelte er. «Dein Gesicht war ganz schmutzig. Hier.» Mit dem Daumen fuhr er die Stelle von ihrem Kinn über ihre linke Wange entlang, wo sich damals der ölige Fleck befunden hatte.
Sie starrte ihn an. «Soll das heißen …?»
«Dass ich dich damals schon wollte?» Er nickte freimütig. «Es war mir vielleicht nicht gleich bewusst, aber spätestens als du Peter die Strafpredigt gehalten hast, wusste ich, dass ich dich liebe.»
Pauline stieß einen erstickten Laut aus. «Liebe.» Sie schluckte.
«Nachdem ich Erkundigungen über dich eingezogen hatte, war mir klar, dass es nicht einfach sein würde, dich für mich zu gewinnen. Was du in deiner früheren Stellung in Bonn erlebt hast …» Er schüttelte den Kopf. «Ich weiß nicht, ob ich es wirklich wissen will. Doch», korrigierte er sich. «Ich würde es begrüßen, wenn du mir eines Tages davon erzählst. Aber ich war mir nicht sicher, wie tief verletzt du warst … bist. Deshalb habe ich dir versichert, dass dir Ähnliches in meinem Hause niemals widerfahren wird. Und das verspreche ich dir auch jetzt noch. Niemals …» Er umfasste ihr Gesicht mit beiden Händen. «Niemals werde ich dich zu irgendetwas zwingen, was du nicht willst, Pauline.»
Er sah, wie sie zitternd einatmete. Liebend gerne hätte er sie erneut geküsst, doch er hatte noch nicht alles gesagt, was es zu sagen gab. «In einem Punkt habe ich jedoch gelogen», fuhr er schließlich fort und spürte, wie sie sich leicht anspannte. «Ich habe gesagt, dass ich keine wie auch immer geartete persönliche Beziehung zu dir aufnehmen will.» Wieder lächelte er. «Das war natürlich nicht die Wahrheit. Aber wie hättest du wohl reagiert, wenn ich dir gesagt hätte, dass du meine Frau werden sollst?»
Pauline hatte noch keinen Ton gesagt. Jetzt wich sie sichtlich erschrocken einen Schritt zurück und löste sich aus seiner Umarmung. «Das ist verrückt», stieß sie hervor. «Ich kann nicht … Wir können nicht …»
«Warum nicht?» Julius zog sie einfach wieder zu sich heran.
«Es geht nicht», sagte sie. «Es wäre gegen jede Vernunft. Die Fabrik … Friedas Mitgift würde …»
«Nun lass doch einmal die verdammte Vernunft beiseite!», fuhr Julius sie verärgert an. Ungestüm presste er seine Lippen auf die ihren. Sofort loderte die Flamme zwischen ihnen wieder auf. Pauline rang nach Atem; sogleich vertiefte er den Kuss und umfasste erneut ihr Gesicht mit beiden Händen. Alle Gefühle, deren er fähig war und von denen er nicht wusste, wie er sie in Worte fassen sollte, brachen sich Bahn. Er fühlte, wie ihr Körper nachgab, sich ihre Hände an den Aufschlägen seiner Jacke festklammerten.
Als er sich erneut von ihr löste, waren ihre Wangen gerötet, und ihr Atem ging wie der seine in heftigen Stößen.
«Pauline», sagte er rau. «Sag mir, soll ich unter diesen Umständen wirklich Frieda um ihre Hand bitten?»
Einen Moment lang sahen sie einander tief in die Augen, dann machte sich Pauline unvermittelt von ihm los, wich zwei Schritte zurück. «Ich … kann … nicht …» Sie schüttelte den Kopf, und er glaubte, Tränen darin aufblitzen gesehen zu haben. «Ich kann das nicht», stieß sie erstickt hervor. «Ich kann nicht sagen, was du tun sollst. Wie … wie stünde ich da … Wenn wir … Wenn du Frieda nicht heiratest, könntest du deine Fabrik verlieren, nicht wahr?»
«Die Möglichkeit besteht», gab er zu.
Sie nickte und machte noch einen weiteren Schritt rückwärts. «Ich könnte mir niemals verzeihen, wenn du wegen mir … wegen einer sinnlosen Liebelei alles aufs Spiel setzen würdest, was dir je wichtig war.»
«Sinnlose Liebelei?», echote er. Zorn regte sich in ihm. «So nennst du das also? Mehr ist es für dich nicht? Sieh mich an!», forderte er.
Pauline blickte ihm wieder in die Augen. Jetzt sah er die Tränen ganz deutlich. Er entspannte sich ein wenig. «Du lügst nicht sehr überzeugend, Pauline», befand er.
«Vielleicht nicht», antwortete sie spröde.
Er spürte geradezu körperlich, wie sie sich verschloss, ihm entglitt. Er ballte die Hände zu Fäusten.
«Aber», fuhr sie störrisch fort, «das ändert nichts daran, dass ich es mir niemals verzeihen könnte, wenn du wegen mir alles verlierst. Und du
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