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Das Haus in Georgetown

Das Haus in Georgetown

Titel: Das Haus in Georgetown Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emilie Richards
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wozu rede ich eigentlich noch mit dir?“
    Das fragte Faith sich manchmal selbst. „Das ist das Haus deiner Großmutter, und das ist das Auto deiner Großmutter. Und du wirst dich jetzt benehmen.“
    Als sie über den Bürgersteig zu ihrer Mutter und ihrem Sohn lief, schaukelte Alex an einem Ast, der nicht so wirkte, als ob er das lange aushalten würde. Lydia befahl ihrem Enkel aufzuhören, under preschte über den unebenen, mit Ziegelsteinen gepflasterten Gehsteig. Vor einem niedrigen Eisenzaun blieb er abrupt stehen. „Seht mal, hier wachsen Blumen zwischen den Steinen.“ Er kniete sich hin und riss Pusteblumen aus.
    „Lass ihn doch, Mutter“, meinte Faith, bevor Lydia etwas sagen konnte. „Er tut dem Besitzer doch einen Gefallen.“
    „Er kann sich keine zehn Sekunden still verhalten.“
    „Er ist ein Junge. Jungs müssen rennen und springen. Mädchen eigentlich auch, aber uns gewöhnt man das leider ziemlich schnell ab.“
    „Ich nehme an, damit willst du dich über meine Erziehungsmethoden beschweren.“
    „Nein, es sollte eher eine Art Gesellschaftskritik sein.“ Faith schaute zu, wie die Tochter, die sie erzog, langsam aus dem Auto stieg. Remy war das genaue Gegenteil ihres Bruders: gelassen, höflich und auf einen guten Eindruck bedacht. Zumindest hatte sie sich immer so verhalten, bis ihre Welt zerbrochen war.
    „Megan ist wahrscheinlich eh schon weg“, sagte Remy. „Wahrscheinlich hat sie Jennifer Logan gefragt, ob sie mit ins Kino will, weil ich nicht da bin.“
    Megan wohnte im selben Häuserblock wie sie und war seit der Vorschulzeit Remys beste Freundin. In vieler Hinsicht würde der Umzug für Remy am schwierigsten werden, da sie aus einem Freundeskreis gerissen wurde, der der Mittelpunkt ihres Lebens gewesen war.
    Faith versuchte sie zu trösten. „Vielleicht kann sie ja die Nacht bei uns verbringen. Wenn du sie anrufst, frag sie. Wir können Pizza bestellen.“
    „Niemand hat noch Lust, uns zu besuchen.“
    „Frag sie trotzdem.“ Faith war überrascht, wie streng sie klang.
    „Wir leben nicht mehr lange hier. Ihr habt nicht mehr viele Gelegenheiten, euch zu sehen.“
    „Na und? Sie wird sowieso nicht den weiten Weg nach Great Falls auf sich nehmen, nur um mich nach der Schule zu besuchen. Sobald ich wegziehe, ist unsere Freundschaft vorbei.“
    Zu einer längeren Debatte fehlte Faith die Kraft. „Komm schon, Alex.“
    Er hielt zahlreiche Pusteblumen in den schmutzigen Händen und stand auf. Während er mit Mutter und Großmutter auf das Haus zuging, schnippte er die flauschigen Köpfe mit dem Zeigefinger ab und zielte dabei auf Remy, die hinter ihnen her zockelte.
    „Hör auf, Alex!“ rief Remy. „Mom, siehst du, was er macht?“
    Faith schaute Alex an und schüttelte den Kopf. Er grinste, warf die kläglichen Überreste der Pusteblumen fort und klopfte sich triumphierend den Dreck von den Händen. Remy holte auf und schubste ihn, aber er fiel nicht hin.
    Lydia verkniff sich jeglichen Kommentar, aber ihre Lippen bildeten eine gerade, dünne Linie.
    Die Familie lief an einem Reihenhaus nach dem anderen vorbei; alle waren im selben Stil erbaut wie das von Lydia. Die Prospect Street ging von der Wisconsin Avenue mit ihren schicken Läden und teuren Restaurants ab und erstreckte sich bis zur Georgetown-Universität, wo sie nur noch reines Wohngebiet war. Bei vielen Anwesen handelte es sich um historische, kunstvolle Gebäude, die durch riesige Bäume und hohe Ziegelmauern von der Straße abgeschirmt waren. Andere Häuser, die man an Studenten und junge Akademiker vermietet hatte, wirkten etwas bescheidener. Diese Bauten standen so nah am Gehsteig, dass man die aufragenden Frontmauern – ebenso wie die Lebensgeschichten ihrer ehemaligen Bewohner – mit Händen greifen zu können glaubte.
    In Georgetown zu wohnen galt als vornehm. Viele Eigentümer, die nicht selbst hier lebten, setzten – wie Lydia – vor allem auf den guten Ruf des Viertels und nicht auf sorgsame Restaurierung und Instandhaltung. Der Putz eines der Häuser, an denen sie vorbeiliefen, hätte dringend einen Anstrich benötigt. Der kaum handtuchgroße Vorgarten eines anderen war derart mit abgestorbenem Strauchwerk überwuchert, dass nur noch eine Kettensäge half.
    „Ich sollte die Vermietungsgesellschaft verklagen.“ Lydia stemmte die Hände in die Hüfte und starrte auf das Haus, dessentwegen sie gekommen waren.
    Auch Faith blieb stehen. Obwohl sie nie hier gelebt hatte, schämte sie sich.
    Vom Nachbarhaus

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