Das Haus in Georgetown
befrackter Haie und dieser grässlichen kleinen Fische geraten zu sein, die von deren Abfällen lebten. Sie wusste, was sich neben dem Cocktailgeplauder noch abspielte: Deals wurden vereinbart, Schicksale besiegelt.
Während Remy sich für den Einkaufsbummel bereitmachte, saß Faith auf glühenden Kohlen. Sie wollte die Shoppingtour genießen und sich – wenigstens für ein paar Stunden – gut mit ihrer Tochter verstehen. Früher hatte sie nie groß darüber nachgedacht, worüber sie sich mit ihr unterhalten sollte. Heute musste sie sich jedes Wort gut überlegen.
Als Remy schließlich auftauchte, trug sie einen sehr kurzen Faltenrock und ein noch kürzeres T-Shirt. Faith verkniff sich jeden Kommentar. „Was hältst du davon, wenn wir auf der Wisconsin Avenue anfangen?“
„Da wirst du nichts finden, was dir gefällt.“
„Bin ich wirklich so eine graue Maus? Ich suche etwas Flottes.“
„Mit wem gehst du überhaupt aus? Großmutter? Wenn du was wirklich Flottes anhast, lässt sie dich gar nicht ins Auto.“
Faith erzählte Remy, dass sie Pete bei „Safeway“ getroffen hatte. Remy runzelte die Stirn; dass ihre Mutter schon wieder mit einem Mann ausging, passte ihr offenbar nicht. Zumindest war Faith erleichtert, dass ihre Tochter nicht nur Pavel, sondern jeden neuen Mann an der Seite ihrer Mutter ablehnte.
„Seine Frau ist gestorben, erinnerst du dich noch?“ fuhr Faith fort. „Wir sind alte Freunde. Mehr nicht.“
„Du wirst all diese Leute wiedersehen! Alle, die über uns Bescheid wissen.“
Faith merkte, dass das Gespräch in die falsche Richtung lief, wollte diese Bemerkung ihrer Tochter aber trotzdem nicht unkommentiert lassen. „Schämen müssen sich nur Leute, die sich weigern, zu verzeihen.“
„Bist du fertig?“
„Ja, aber meine Äußerung scheint dich nicht besonders beeindruckt zu haben.“
Die beiden starrten einander an, dann legte Faith Remy die Hand auf die Schulter. „Noch einmal von vorn. Wollen wir uns zuerst auf der Wisconsin Avenue umschauen? Wenn wir da nichts Tolles finden, fahren wir zu ,Tyson’s‘.“
„Ich hab sonst nichts vor.“
Schweigend liefen sie zur Wisconsin Avenue. Faith fragte sich, wo Billie heute steckte, denn die beiden Mädchen schienen unzertrennbar, aber als sie sich nach ihr erkundigte, zuckte Remy nur mit den Schultern. Letzte Woche hatte Faith darauf bestanden, dass Remy ihre Freundin einmal mit in die Prospect Street brachte, weil sie sich ein Bild von Billie machen wollte. Das Mädchen, das älter, aber zugleich unreifer wirkte als Remy, hatte die verabredete eine Stunde ausgeharrt und war dann mit Remy im Schlepptau nach Hause gegangen. Faith konnte sich nicht vorstellen, was die beiden die ganze Zeit bei Billie trieben, und fing an, sich ein bisschen Sorgen zu machen.
Eine Stunde und einen Pullover für Remy später hatten sie sich zu einer Boutique vorgearbeitet, deren Schaufenster mit knallbunten Kleidern dekoriert war. Faith wollte weitergehen, nachdem sie einen flüchtigen Blick darauf geworfen hatte, aber Remy zog sie am Ärmel. „Das orangefarbene Kleid. Guck doch mal.“
Faith kam zurück und blinzelte. Orange hatte sie noch nie getragen. Pfirsich, ja. Koralle, wenn sie sich mutig fühlte. Aber dieses Orange war rein und unverfälscht, die Mutter aller Orangetöne, klar und frisch, ein Apfelsineneis an einem heißen Sommertag. Das Kleid selbst war aus feiner, seidiger Baumwolle und hatte einen simplen Schnitt, aber wenn man eine gute Figur besaß, sah es sicher umwerfend aus.
„Hast du je diese Farbe getragen?“ fragte sie. „Dein Haar ist heller als meins, aber wir haben denselben Hautton.“
Remys Stimme klang nicht mehr so scharf wie vorhin, als sie antwortete; das Mädchen hatte wohl vergessen, dass es mit seiner Mutter im Clinch lag. „Ich finde, du solltest es anprobieren. Du hast doch gesagt, du willst etwas Besonderes.“
Etwas Besonderes war das Kleid ganz sicher. Nicht dezent, worauf Faith sonst immer Wert legte. Nicht richtig klassisch – und ganz gewiss nicht langweilig. Es strahlte Selbstvertrauen und Esprit aus. Es war wie geschaffen für ihren Wunsch nach Veränderung, und sie fühlte sich wie gelähmt.
„Mom ...“
Diesen höhnischen Tonfall kannte Faith. „Genau das Richtige“, meinte sie und stieß die Ladentür auf. „Ich versuch’s.“
„Was hat der Wind uns denn da hereingeweht?“ Der Mann, der sie in Empfang nahm, war fast zwei Meter groß, hatte schmale Schultern und einen Körper, der
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