Das Haus in Georgetown
etwas vorgemacht. Sie hatte David genauso verletzen wollen wie er sie. Tief. Dauerhaft. Das ganze Jahr über hatte sie versucht, nicht mehr das gute Mädchen zu spielen, aber im Grunde war sie von Anfang an kein gutes Mädchen gewesen. Sie war genau wie alle anderen. Voller Schwächen, unehrlich, unbarmherzig.
Die nächsten Worte presste sie mühsam hervor. „Mir war nicht klar, wie sehr ich es genossen habe, ihn auszuschließen. Ich hielt das für eine gerechte Strafe. Er hatte mich für einen anderen Mann verlassen, aber ich hatte die Kinder. Wir drei gegen die Welt. Und gegen ihn. Und jetzt ist das vorbei.“
Er strich mit den Händen über ihre Schultern. „Und du weißt auch, wie natürlich das ist, oder?“
„Aber so bin ich nicht! Ich dachte, ich wäre nicht so. Ich dachte, ich stünde über so etwas. Als ich mich vom ersten Schock erholt hatte, wollte ich die Scheidung perfekt über die Bühne bringen. Den Kindern ein Zuhause schaffen, gelassen und vernünftig sein, mein Leben wieder in den Griff bekommen, allen anderen Halt geben.“
Sie weinte, aber das war ihr egal. „Und was ich ... wirklich wollte ... war, David wehtun ... und ihn aus der Familie ausschließen. Ich hatte vor zu beweisen ... dass ich diejenige bin, auf die Verlass ist.“
„Okay, aber ich habe dich beobachtet. Vielleicht waren das deine geheimsten Gefühle, aber gehandelt hast du anders. Du bist darüber hinausgewachsen, Faith. Vielleicht wolltest du David bestrafen, aber du hast es nicht getan. Okay, du hast ihm nicht gerade die Hand entgegengestreckt, aber du hast zugelassen, dass er schließlich zu eurer Familie zurückgefunden hat.“
Aber Faith ging es nicht um das, was sie getan hatte, sondern darum, wer sie war . Nicht das gute Mädchen. Nicht das große Vorbild. Ein Mensch mit einer dunklen Seite. Wie die anderen Menschen in ihrem Leben. Wie die Menschen, die sie liebte.
Pavel schüttelte den Kopf und zog sie dann an sich. „Faith, Faith ...“ Er schlang die Arme um sie. „Du bist nur eine nettere Ausgabe von allen anderen, wusstest du das nicht?“
Sie heulte zu sehr, um zu antworten. Er hielt sie fest und streichelte ihr den Rücken, während sie sich ausweinte. Die Tränen flossen und flossen, ein Strom von Tränen, der sich in ihr aufgestaut hatte. Dann brach es aus ihr hervor: „Ich wusste nur ... ich weiß nur, dass mich niemand liebt, wenn ich nicht vollkommen bin.“
„Also hast du dich davon überzeugt, dass du beides bist: liebenswürdig und vollkommen. Die magische Kombination.“
Sie schüttelte den Kopf und wischte sich die Wangen an seinem Hemd ab. „Nicht liebenswürdig. Nicht im Innersten ... nicht da, wo es zählt.“
„Und als wir alle dich belogen haben, hast du noch mehr an dir gezweifelt, hm? Denn wenn du ein bisschen perfekter gewesen wärst, hätten wir dich wohl nicht angelogen, was?“
„Es hätte Möglichkeiten gegeben, Remy mit David zu versöhnen. Ich ... hätte mich um eine Therapie kümmern können. Wir wollten nach den Feiertagen damit anfangen, aber ... ich hätte früher dafür sorgen können. Vielleicht ... hatte ich Angst, dass sie uns tatsächlich helfen würde.“
Er machte einen Schritt nach hinten und hielt sie an den Schultern. „Guck mich an.“
Sie wischte sich mit dem Handrücken über die Nase. „Ich sehe furchtbar aus.“
„Mir gefällst du so. Schau mich an.“
Sie tat es. Mit roten Augen und roter Nase, die Wangen fleckig und feucht. Unvollkommen.
„Du warst David böse“, sagte er. „Natürlich wolltest du ihn nicht in deiner Nähe haben. Aber du bist eine gute Mutter, und du hast getan, was du für das Richtige gehalten hast.“
„Ich habe mir etwas vorgemacht und mich selbst belogen.“
„Willkommen im Club.“
Zitternd holte sie tief Luft. Nach einem weiteren tiefen Atemzug versuchte sie zu lächeln. Der Versuch misslang, aber die Absicht zählte. „Wie haltet ihr anderen das aus?“
„Jahrelange Übung. Die meisten von uns haben schon vor langem herausgefunden, wie unvollkommen wir sind. Wir verzeihen uns das.“
Und das macht es uns leichter, einander zu verzeihen. Das war die unausgesprochene Botschaft, das, was er nicht explizit sagen wollte. Aber sie verstand es auch so und fühlte sich beschämt.
Das Gespräch drehte sich nicht mehr um Remy. Es ging nicht um David oder um die Lügen, die ihre Eltern ihr erzählt hatten. Sie sprachen über sich. Faith wusste das, und ihr war klar, dass dieses Thema ebenso wichtig war wie die
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