Das Haus in Georgetown
ich kein Dach über dem Kopf hätte.“
„Er hätte ja eins haben können: Dottie Lees Keller. Und ich vermute mal, dass der eher eine Einliegerwohnung als eine Rumpelkammer ist.“
„Vielleicht will er dem Tatort nicht so nahe sein.“
„Wir spekulieren über die Motive eines Menschen, den wir kaum kennen. Das führt zu nichts.“ Pavel legte ihr die Hand auf den Rücken, eine Schutzgeste, die zugleich einen Anspruch anzumelden schien.
„Also auf zum letzten Hotel, und dann machen wir Schluss.“
Die letzte Unterkunft war am besten in Schuss. In diesem Häuserblock standen einige Ladenlokale leer, und das Wohnhaus an der Ecke wurde offenbar gerade renoviert. Die Pension war ein altes Haus, in dessen Lobby es nach Reinigungsmitteln roch. Die Rezeption, auf deren Theke ein künstlicher Weihnachtsbaum mit blinkenden Lichtern stand, war verlassen.
Der Grund war offensichtlich. In einem kleinen Zimmer zur Rechten fand eine Weihnachtsfeier statt. Männer drängten sich um Tische voller Speisen, und aus einem Gettoblaster plärrten Weihnachtslieder. Helfer in Anzug und Krawatte oder Partykleidern schwatzten mit den Männern und trugen neue Speisen auf.
Faith entdeckte Alec sofort. Er stand in einer Warteschlange, und als er an der Reihe war, nahm er weiter nichts als ein Glas Punsch und einen Keks. Als er sich umdrehte, sah er sie. Einen Augenblick schien er zu erstarren. Dann kam er mit einem Ausdruck der Resignation auf sie zu.
„Alec.“ Sie rang sich ein Lächeln ab. „Frohe Weihnachten.“
„Was tun Sie hier, Mrs. Bronson?“ Falls er Pavel erkannt oder auch nur bemerkt hatte, dass er zu Faith gehörte, ließ er es sich nicht anmerken.
„Alec, können wir uns hier irgendwo unterhalten? Ich will Sie nicht vom Feiern abhalten, aber ...“
„Ich bin hier fertig. Habe meinen Keks.“
„Möchten Sie irgendwo etwas essen?“
„Hab schon gegessen.“
„Wohin können wir gehen?“
„In mein Zimmer, denk ich. Darf nach zehn keine Gäste empfangen, aber es ist noch früh.“
„Sind Sie sicher, dass es Ihnen nichts ausmacht? Wir wollen nicht, dass Sie Ärger bekommen.“
Er ging die Treppe hinauf, und Faith folgte ihm. Pavel bildete das Schlusslicht.
Alecs Zimmer war nur unwesentlich größer als eine Gefängniszelle. Unter dem einzigen Fenster, das zur Straße hinausging, gluckerte ein Heizkörper. Eine kleine Kommode, ein Plastikstuhl, ein schmales Bett mit Wolldecke und ein Regalbrett für die sonstigen Besitztümer waren die einzigen Möbel. Aber der Anstrich war neu, und der Teppich schien höchstens ein paar Jahre alt zu sein. Der Raum wirkte spartanisch, aber sauber und halbwegs behaglich.
Alec bot Faith den Stuhl und Pavel die Bettkante an. Er selbst lehnte sich gegen die Wand. „Die alte Dame hat es Ihnen gesagt, oder?“
„Dottie Lee hat mir erzählt, dass Sie Sandor Babin sind, Dominik Dubrovs Cousin.“
Er zuckte schicksalsergeben mit den Schultern.
„Alec, das ist Pavel Quinn, Dominiks Sohn. Sie kennen ihn wahrscheinlich als Pasha.“
Zum ersten Mal schaute Alec Pavel an. „Ich weiß, wer Sie sind.“
„Seit wir uns in Faith’ Garten begegnet sind?“
„Yeah. Ihre Mutter hat Ihren Namen geändert, was?“
„Sie hat sich geschämt.“
„Gab keinen Grund dafür. Ihr Vater war ein besserer Mann als die meisten.“
„Freut mich zu hören.“
„Aber er war schwach. Liegt vielleicht in der Familie.“
„Wie das?“ wollte Faith wissen.
„Meine Familie hat Ungarn verlassen. Seine Russland. Vielleicht haben wir gelernt, uns zu verdrücken, wenn es unangenehm wird. Nur so eine Idee.“
„Mein Vater ist nicht davongelaufen, er hat sich umgebracht“, sagte Pavel.
„Wo ist der Unterschied? Ein Mann nimmt den Weg, der ihm offen steht. Und das war der einzige Ausweg, der sich ihm bot.“
„Warum?“ fragte Pavel. „Was hat ihn so in die Enge getrieben, dass ihm nur der Freitod blieb?“
„Warum wollen Sie das wissen?“ Er wandte sich an Faith. „Und Sie?“
„Pavel und ich haben eine gemeinsame Schwester“, erwiderte Faith. „Wir haben herausgefunden, dass Dominik Hopes Vater war. Wir haben auch erfahren, dass mein Vater irgendwann dahinter gekommen ist, dass Dominik das Baby gezeugt hat. Verstehen Sie jetzt, warum wir erfahren müssen, wer das Kind entführt hat? Ich habe meinen Vater im Verdacht, Pavel seinen. So können wir nicht weiter durchs Leben gehen.“
„Was wollen Sie von mir hören?“
„Alles, was Sie wissen. Alles, was uns helfen kann.“
Weitere Kostenlose Bücher