Das Haus in Georgetown
Gedanken lesen.“
Faith überlegte, ob Alec wirklich hungrig war oder nur ihrem Sohn einen Gefallen tat. Sie hatte das merkwürdige Gefühl, dass er ihnen half. „Können wir Ihnen sonst noch etwas bringen?“
„Das reicht völlig.“
„Wir sind gleich zurück.“ Alex eilte zur Snackbar zurück. Faith blieb noch einen Augenblick stehen.
„Danke“, sagte sie leise.
Ihre Blicke trafen sich. Er zuckte leicht mit den Schultern. „Manche Charaktereigenschaften sollte man fördern.“ Dann wandte er sich wieder dem Müll zu.
Um vier Uhr war Faith drauf und dran aufzugeben. Sie hatten getan, was sie konnten; alles andere musste warten, bis die Böden fertig waren. Sie hatte das Ablösen der Tapeten in Angriff nehmen wollen, aber all ihre Anläufe waren fruchtlos geblieben. Nicht einmal die obersten Schichten ließen sich entfernen, obwohl sie Jahrzehnte alt waren. Sie würde sich erst einmal kundig machen und zudem mit einer Engelsgeduld wappnen müssen.
Auch Alex war mürrisch. Sie hatten einen zaghaften Versuch unternommen, den Dachboden zu erkunden, aber das Fehlen von Glühbirnen, eine frühnachmittägliche Schlechtwetterfront, die dauernd Regenwolken vor die Sonne schob, und eine Taschenlampe mit nahezu leeren Batterien hatten ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Faith hatte genug gesehen, um zu erkennen, dass sie alle Hände voll zu tun haben würden. Allein das Gerümpel fortzuschaffen würde Tage dauern.
„Wir geben nicht so leicht auf“, versprach sie, als sie und Alex sich Gesicht und Hände wuschen, um sich beim Nachmittagstee blicken lassen zu können. „Ich verspreche dir, dass wir das so bald wie möglich angehen. Ich will ja selbst ein paar Kisten dort abstellen.“
„Viele Kisten?“ brummte er.
Faith war entschlossen, sich von allerlei Zeug zu trennen, das sie an ihr Leben mit David erinnerte, aber es gab Sachen darunter, die für die Kinder irgendwann von Interesse sein könnten. Sie umarmte ihren Sohn. „Ich weiß noch nicht. Aber der Speicher ist groß. Wir werden uns schon nicht in die Quere kommen.“
Sie wollte noch einen Anlauf machen, ihre Tochter zum Mitkommen zu bewegen, obwohl Remy bereits kategorisch abgelehnt hatte. Oben klopfte Faith an Remys Tür, zählte bis fünf und trat ein. Zu ihrer Verblüffung hatte ihre Tochter aufgeräumt, gefegtund die beiden Fenster geputzt, die auf den Fluss hinausgingen. Die Regenwolken waren abgezogen, und das Sonnenlicht spiegelte sich in den Scheiben.
„Hey, das sieht ja schon viel besser aus. Hast du versucht, die Tapete zu entfernen?“
„Interessiert mich nicht.“
„Sie ist ziemlich hässlich.“ Faith entdeckte einen abgerissenen Streifen. Sie fragte sich, wer dieses Blumenmuster ausgesucht haben mochte. Es war nicht alt genug, um einen antiquarischen Reiz zu haben, und nicht neu genug, um das Zimmer luftig wirken zu lassen. Traurige Tulpenstängel sprenkelten ein Muster aus breiten schwarzen Streifen. Überall fanden sich Spuren von Klebeband und Reißzwecken, als hätte jemand versucht, möglichst viel von der Tapete hinter Postern zu verbergen.
„Das war das Kinderzimmer meiner Schwester“, sagte sie, als Remy nicht antwortete. „Irgendwo unter den vielen Schichten dürfte eine Babytapete stecken. Altmodische Störche oder Teddybären ...“
„Du meinst, in diesem Zimmer hat sich die Entführung abgespielt?“
Faith wünschte, sie hätte geschwiegen. „Das ist lange her.“
„Ich will hier nicht wohnen.“
„Ich bin mir sicher, dass Alex bereit ist zu tauschen. Dieses Zimmer ist schöner, und es war nett von ihm, es dir zu überlassen.“
„Sein Zimmer hat einen Zugang zum Dachboden. Das ist der einzige Grund.“
Faith wartete.
„Ich möchte diese Treppe nicht in meinem Zimmer haben. Wer weiß, was sich da oben rumtreibt.“
„Dann musst du wohl oder übel hier bleiben.“
„Du findest das wohl witzig, was?“
Faith lehnte sich an die Wand. „Ich finde, du hast in letzter Zeit viel mitgemacht. Das haben wir alle, und witzig wird es vorerst nicht werden. Aber das heißt nicht, dass wir hier nicht irgendwann glücklich werden können. Diese Möglichkeit besteht durchaus.“
„Ich werde nie wieder glücklich sein.“ Ausnahmsweise klang Remy nicht patzig. Sie war einfach nur traurig.
Faith war gerührt und besorgt, aber sie hütete sich, die Arme um ihre Tochter zu legen. „Ich weiß, dass es sich im Moment so anfühlt.“
„Wie kannst du nur glauben, dass es je wieder besser
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