Das Haus mit der grünen Tür
zehn Meter die Straße hinauf und in den erstbesten Hauseingang. Es war ein gewöhnliches Treppenhaus. Links an der Wand hing eine Reihe von Briefkästen, und in der Tür waren hohe Glasscheiben. Ich trat weit zurück in den Flur und behielt die Glasscheiben im Auge. Er kam nicht vorbei. Ich ging näher heran, spähte hinaus. Niemand. Ich ging zur Ecke zurück. Da sah ich ihn weiter unten in der Straße. Er ging in die entgegengesetzte Richtung. Ich folgte ihm, zu Fuß.
Am Kiosk auf dem Ole-Bulls-Platz kaufte er eine Zeitung. Dann ging er zu Sundt hinein, durch den Eingang am Ole-Bulls-Platz. Ich folgte ihm. Drinnen angekommen stutzte ich: War er die Treppe hochgegangen – oder runter? Ich tippte auf hoch, wo die Geschenkabteilung war, aber er war nicht zu sehen. Ich ging schnell durch ein paar Abteilungen und auf die andere Seite des Raumes, wo die Treppe aus dem Kellergeschoß heraufkam. Ich ging hinunter. Nirgends ein Veide. Ich ging wieder hinauf, woher ich gekommen war, und irrte weiter planlos durch die Gegend. Das Geschäft hat drei verschiedene Ausgänge, in drei verschiedene Himmelsrichtungen. Wenn du einen Verfolger loswerden willst, ist dies genau der richtige Ort. Er mußte mich gesehen haben.
Ich ging zu jedem der Ausgänge und sah mich um, ohne Erfolg. Veide war weg, wie vom Erdboden verschluckt.
Er mußte mich gesehen haben. Und entweder wollte er nicht, daß ich sah, wohin er ging, oder aber er wollte mich auf eine Probe stellen. Um zu sehen, ein wie guter Detektiv ich eigentlich war. In dem Fall hatte ich schlechte Reklame für mich gemacht.
Ich gab es auf und ging statt dessen zum Telegrafenamt und schlug das Telefonbuch für Møre und Romsdal auf, unter Ålesund. Ganz richtig, da stand er. Veide, Ragnar, Abteilungsleiter – mit zwei Telefonnummern, einer privaten und einer am Arbeitsplatz: Veidemann Fisch AG, Ålesund. Das sah zuverlässig aus. Abgesehen davon, daß ich bei keiner der Nummern anrufen sollte, unter gar keinen Umständen.
Ich ging zurück zum Hotel und holte den Wagen.
Es kostete mich eine Viertelstunde, einen neuen Parkplatz zu finden, und das im Parkverbot. Nur zum Be- und Entladen. Ich lud mich ab und verließ schnell den Tatort.
Jetzt war mehr Leben in dem gelben Haus. Die Schaufenster im Erdgeschoß waren erleuchtet, die Fenster des Fotografen im ersten Stock, des Arztes und des Zahnarztes im zweiten auch und auch ein Fenster im dritten. Die beiden Dachfenster waren dunkel. Ich ging ins Treppenhaus und sah mir die Briefkästen an. Da war der Arzt. Da der Zahnarzt. Der Fotograf im ersten hieß Abr. Lange, und die Firma Bonanza, was auch immer es damit auf sich hatte. Die anderen beiden Briefkästen gehörten einmal M. Andersen, dritter Stock, und dann Wang, vierter Stock. Wang war mein Mann.
Ich entschied, im Atelier Bonanza einen Versuch zu starten, und ging die Treppe hinauf in den ersten Stock. Eine Tür mit Milchglasscheibe führte in ein Vorzimmer. In der hinteren Wand war eine große Öffnung, die nur teilweise von einem roten Vorhang verdeckt wurde. Hinter dem Vorhang waren weiße Wände und aufgestellte Scheinwerfer zu sehen. Ich konnte Stimmen hören. An den Wänden hingen allerliebste Bilder von kleinen Kindern mit großen Zähnen, Hochzeitsfotos und Portraits von Leuten, die es eigentlich hätten besser wissen und sich nicht fotografieren lassen sollen. Einige eher diffuse Bilder deuteten darauf hin, daß Abr. Langes Geschmack nicht der allerbeste war. Mit dem Einfallsreichtum sah es dürftig aus. Schwarze, nackte Bäume gegen eine tiefstehende, weiße Novembersonne hatte ich schon mal gesehen. Sogar in Bergen.
Auf einem niedrigen Schreibtisch standen eine Rechenmaschine und ein Telefon. Das Telefon begann zu klingeln. Der rote Vorhang flatterte, und eine kleine Frau kam hervor und sah mich fragend an. Ich zeigte auf das Telefon. Das war es, was klingelte, nicht ich. Ihr Blick wurde kühl, sie nahm den Hörer ab und sagte: »Atelier Bonanza.« Mit der Liebenswürdigkeit einer Dampfwalze. Kokett wie ein Schwergewichtsboxer.
Während sie sprach, betrachtete ich sie. Sie war klein und gedrungen und hatte große, kräftige Hände. Vielleicht eine kleine Karate-Expertin, oder ganz einfach eine kleine Frau mit großen Händen. Sie hatte blondes Haar, in der Mitte gescheitelt und glatt wie gebügelt. Die Augen waren blau, der Mund eher klein, eher schmal. Ihre Stimme war grob und scharf zugleich: eine unangenehme Kombination. Als sie aufgelegt hatte, wandte sie
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