Das Haus mit der grünen Tür
Sie ging nur zur Tür hinter mir, öffnete sie und sagte: »Wenn Sie nicht draußen sind, ehe ich bis drei gezählt habe, dann rufe ich die Polizei. Eins, zwei …«
Sie machte eine Kunstpause. »Drei«, sagte ich und gab ihr im Vorbeigehen einen Klaps auf den Hintern. Die Tür knallte hinter mir zu.
Ich ging zur nächsten Telefonzelle und rief die Firma an, deren Namen sie mir genannt hatte. Es gab unter den Angestellten niemanden, der Stein Wang hieß. Aber sie war sich bei dem Namen ja auch nicht so sicher gewesen. Hatte sie gesagt.
Ich ging zu meinem Wagen zurück und fuhr zur Natland Terrasse. Als ich in das letzte Wegstück vor Mobergs Haus einbog, sah ich Frau Moberg am großen Wohnzimmerfenster. Eine Lampe an der Wand hinter ihr zeichnete ihre Silhouette. Sie erinnerte an eine Pappfigur. Sie stand ganz still und starrte aus dem Fenster. Das einzige, was sich bewegte, war der Rauch der Zigarette, die sie im Mund hatte.
Ich fuhr langsam vorbei und ein Stück weiter den Weg hinauf als sonst. So weit, daß sie mich nicht sehen konnte. Dort wendete ich und parkte. Und begann zu warten.
9
Es wurde ein langer Tag. Frau Moberg blieb bei dem Regenwetter im Haus. Es tropfte grau und regelmäßig den ganzen Tag. Ab und zu hatte ich das Gefühl, ich säße in einem Mini-U-Boot, das gerade die Oberfläche erreicht hatte. Und ich hatte keine Lust, an Land zu gehen.
Ich hatte viel Zeit zum Nachdenken. Ich dachte an einen Mann, der Ragnar Veide hieß und der mich engagiert hatte, um seine Schwester zu beschatten. Und dem sehr daran gelegen war, mögliche Verfolger abzuschütteln. Oder er hatte jedenfalls ein Interesse daran, den Privatdetektiv, den er engagiert hatte, auf die Probe zu stellen. Was an und für sich nicht verboten ist.
Ich dachte an einen Mann, der Stein Wang hieß und der eine Wohnung gemietet hatte, die Margrete Moberg, geborene Veide, ein paar Abende zuvor besucht hatte. Ein Mann, der Stein Wang hieß und der sagte, er sei bei einer Firma angestellt, bei der niemand je von einem Mann gehört hatte, der Stein Wang hieß. Wenn sich die reizende Rigmor Moe nicht verhört hatte. Oder sich nicht richtig erinnerte. Oder mit Absicht etwas Falsches gesagt hatte.
Aber in erster Linie dachte ich an eine Frau namens Margrete Moberg, geborene Veide.
Einen Menschen zu beschatten ist ein deprimierendes und beklemmendes Erlebnis. Der Mensch, den man beschattet, hat nichts Lebendiges. Er ist nie aus Fleisch und Blut. Er ist ebenso lebendig wie eine mechanische Puppe, die sich hin- und herbewegt, weil jemand sie aufzieht. Ich wußte mit größter Sicherheit, daß ich dem Menschen namens Margrete Moberg, geborene Veide, niemals näher kommen würde als der unwirklichen Silhouette, die ich gerade gesehen hatte. Ich könnte sie beschatten bis zum jüngsten Tag und wieder zurück, sie würde nie lebendiger werden, als sie es auf den vier Fotos war, die ich von ihr hatte. Eine rothaarige Frau mit einer Pelzmütze und modischem Mantel. Beim Ein- und Aussteigen aus einem Auto, beim Betreten und Verlassen von Geschäften oder Konditoreien. Nicht einmal ihr abendlicher Besuch bei dem mysteriösen Stein Wang hatte sie viel lebendiger gemacht. Eine kleine Abendsünde – na und? Sie hatte einen Mann, der mindestens zwanzig Jahre älter war als sie, einen Mann, der ihr so wenig vertraute, daß er einen Privatdetektiv engagieren wollte, um sie zu beschatten. Die meisten Menschen hatten ihre Leiche im Keller, und Margrete Mobergs hieß Stein Wang. Ein unpassender Name für eine Leiche, und eine uninteressante Sünde. Untreue ist immer uninteressant – für den, der sie nur beobachtet. Untreue ist tödlich langweilig und die trostloseste aller Sünden – immer für den, der nur beobachtet.
Ich dachte an Ragnar Veide. Ich dachte an Margrete Veide und Stein Wang. Ich dachte an Margrete und William Moberg. Und ich dachte an mich selbst. Ich dachte an einen Mann in seinen besten Jahren, der es als eine sinnvolle Arbeit betrachtet, zehn Stunden ununterbrochen in einem Morris Mini eingesperrt zu sitzen. Ein Mann mit einem Büro, einer Wohnung, zwei Telefonen und einem Stapel Rechnungen, der gerade im Moment jedenfalls mit jedem Tag ein wenig kleiner wurde. Auf Kosten von Ragnar Veide.
Der letzte Gedanke hielt mich den Rest des Tages aufrecht. Gegen sechs Uhr kam Moberg nach Hause. Zwei Stunden später kamen sie beide heraus und fuhren in die Stadt, die Frau am Steuer. Sie parkten vor einem besseren Restaurant und verschwanden oben
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