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Das Haus mit der grünen Tür

Das Haus mit der grünen Tür

Titel: Das Haus mit der grünen Tür Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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Haar, das fast bis auf den Schädel kurz geschnitten war. Das Gesicht war blaß und hager. Die Augen lagen weit auseinander und waren durchsichtig, als sei sie in einer sehr sumpfigen Gegend aufgewachsen. Sie trug nichts auf dem Kopf, einen halblangen, grünen Mantel, und in der einen Hand hielt sie eine kleine hellblaue Tasche, als hätte sie sich zur Unterhaltung ein Stückchen Sommerhimmel mitgebracht. Sie sprach Trønder Dialekt: »Veum? Ich bin der Babysitter.«
    »Prima«, sagte ich. »Komm herein.«
    Sie folgte der Aufforderung und hängte ihren Mantel in dem Raum auf, den ich Vorflur nannte (die Hälfte eines Abstellraums). Das Kleid unter dem Mantel war selbstgestrickt und gestreift. Die waagerechten Felder waren abwechselnd blau und lila. Alle waren unterschiedlich breit, und man wurde seekrank, wenn man sie zu lange ansah. Sie sah nicht aus, als sei sie gekommen, um sich zu amüsieren. »Wo ist das Kind?« fragte sie und sah sich um, als erwarte sie, daß das Kind irgendwo hinter meinem alten Konfirmationsanzug aufgehängt wäre.
    »Hier«, sagte ich und führte sie ins Wohnzimmer.
    Sie ging hinein. Sie hielt krampfhaft die kleine Tasche fest.
    »Wo?« fragte sie und sah sich mißtrauisch um.
    »Hier«, sagte ich und legte eine Hand auf meine Brust, während ich mein liebenswertestes Jungenlächeln aufsetzte.
    Sie sagte: »Was meinen Sie?«
    Ich setzte zu einer Antwort an, aber sie kam mir zuvor, nicht mit Worten, sondern indem sie mir die Tasche ins Gesicht knallte. Es war ein hartes Stückchen Sommerhimmel, und sie traf mich mit einer Ecke an der Wange. Sie sagte: »Du altes Schwein! Was zum Teufel fällt dir eigentlich ein?« Ihr Dialekt wurde immer deutlicher. »Du dreckiger, oller, geiler Bock! Fick dich gefälligst selber, du Arsch!« Damit kam die Tasche wieder auf mein Gesicht zugeflogen, und dieselbe Ecke knallte mir diesmal an die andere Wange. Sie war durchschlagend effektiv mit ihrer Tasche. Sie hätte zur Bürgerwehr gehen sollen. Dort hätten sie sicher Verwendung für ein solches Talent.
    Dann waren wir wieder draußen im Vorflur. Sie riß den Mantel vom Bügel, während ich versuchte, die Wogen glätten. »Faß mich nicht an!« keifte sie. »Wenn du mich auch nur anrührst, dann zeig ich Sie wegen Vergewaltigung an.« Ich notierte im stillen, daß wir im Laufe eines halben Satzes nicht mehr per du waren. Das war das letzte was ich registrierte, wobei ich einen Augenblick unaufmerksam war. Ihr Knie schoß unter dem Mantel hervor und mir zwischen die Beine, und zwar schnell und hart. Als ich zusammenknickte, schmetterte sie mir die Handtasche auf den Hinterkopf, und einen Augenblick war alles schwarz, mit kleinen Wölkchen von Rot, flimmerndem Rot. Meine Zunge hing auf dem Boden. Es war lange her, seit er einen Feudel gesehen hatte. Weit, weit entfernt hörte ich Schritte, die eine Treppe hinunter verhallten – meine Treppe.
    Ich dankte meinem Schöpfer, daß ich nicht jeden Tag einen Babysitter brauchte.

27
    Ich hatte nicht die Absicht, zu Hause zu sitzen und darauf zu warten, daß Muus & Co ein paar glänzende Einfälle hatten. Nach zwei soliden Gläsern Aquavit, um mich vom Besuch des Babysitters zu erholen, suchte ich mir zusammen, was ich brauchte: einen Satz Universalschlüssel, eine Plastikscheibe, ein paar Dietriche und eine Taschenlampe. Es war noch früh am Abend, und um mir die Zeit zu vertreiben, ging ich in die Neunuhrvorstellung des Eldorado. Sie zeigten einen von dieser modernen Western, bei denen der einzige Unterschied zwischen Held und Schurke der ist, daß der Held beim Staring zuerst genannt wird.
    Nach der Kinovorstellung fuhr ich um Nøstet herum nach Møhlenpris. Ich parkte ein paar Querstraßen vom Haus mit der grünen Tür entfernt. Es war fast elf Uhr, im Erdgeschoß war es dunkel, aber in den anderen Etagen war noch Licht. Die Nachtschicht arbeitete. Die Snackbar an der Ecke machte gerade zu, aber ich hatte sowieso nicht vorgehabt, sie an diesem Abend zu besuchen.
    Wenn man in Møhlenpris ein paar Abendstunden totschlagen will und in der Gegend niemanden kennt, wird man feststellen, daß einem die Zeit lang wird. Es gibt wenig Unterhaltungsangebote. Das Beste, was sie haben, ist der Nygårdspark, aber selbst der ist zu einem zweifelhaften Vergnügen geworden.
    Ich lief eine gute halbe Stunde durch den Park. Um mich herum lag die Stadt wie ein gigantisches, glitzerndes Schmuckstück. Hier unten, zwischen den hohen, graubraunen Bäumen und an den kleinen Seen war

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