Das Haus mit der grünen Tür
Heute abend muß ich ihr was zur Beruhigung geben und dasitzen und ihre Hand halten, während sie sich in den Schlaf weint. Das ist nicht besonders angenehm, das können Sie mir glauben. Ich hoffe, Sie kommen nicht wieder.«
»Das hoffe ich auch«, sagte ich.
Wir gingen ein paar Stufen weiter. Dann blieb er wieder stehen. Er drehte sich um und sagte: »Ich habe meinen Vater nie geliebt. Er hatte immer zu tun. In der Woche fuhr er nach dem Abendessen wieder ins Büro und bereitete sich vor. Oder er war auf Vorstandssitzungen und Konferenzen und was nicht alles. Am Wochenende war er selten zu Hause. Es gab immer ein Seminar oder eine Landesversammlung oder einen Kongreß. In all den Jahren haben wir nie was zusammen unternommen. Wir waren nie im Kino, oder im Museum, oder im Zirkus oder sonstwo. Da war nur – Mama. Mein Vater war für mich nicht viel mehr als ein Nachname, deshalb war es ganz selbstverständlich, daß ich mit ihr ging, als er und Mutter sich scheiden ließen. Und ich wählte selbst, ihren Namen wieder anzunehmen. Sie müssen also verstehen: Ich bin nicht in der Lage, mit meinem Vater Mitleid zu empfinden. Man wird ja auch nicht traurig, wenn man Todesanzeigen von wildfremden Menschen liest – oder?« Er redete auf eine umständliche, langsame Art – als wolle er ganz sichergehen, daß ich auch verstand, was er sagte.
Ich verstand es. Ich hatte solche Geschichten schon früher gehört. Sie waren mir von Kindern erzählt worden, die das Rauschgift zu Invaliden gemacht hatte. Der einzige Unterschied war, daß Peter Grande nicht von Drogen abhängig war – sondern von Mama.
Ich trat wieder ins Tageslicht hinaus, den Kopf noch voller Gedanken. Es waren Gedanken, die nach einem stillen Ort verlangten: Es war an der Zeit, ins Büro zu fahren.
38
Das Büro war ein paar Tage verlassen gewesen, und es hatten sich weitere Schichten Patina abgelagert. Ich wischte den Staub vom Stuhl, legte zwei neue Rechnungen oben auf die anderen und sah aus dem Fenster. Fløien war noch immer an seinem Platz, und auf Torget war das sonnabendliche Markttreiben in vollem Gang. Unten an der Harbitz-Ecke standen die Marxisten-Leninisten und der »Verband von 1948« und verteilten Flugblätter. Vor der öffentlichen Toilette stand ein Penner und lachte leise vor sich hin, ohne ersichtlichen Grund. Der Himmel war blaßgrau und schmuddelig. Es war einer dieser grauen, regenlosen Untage, die man vergißt, ehe sie noch halb vorbei sind.
Ich versuchte, über das nachzudenken, was ich in den letzten Tagen erfahren hatte.
Ich dachte an Moberg und seine erste Ehe. Und sein Verhältnis mit der platinblonden, jetzigen Frau Kvam. Ich dachte an seine zweite Ehe – mit der verstorbenen Margrete Moberg: ein Verhältnis, das sehr schnell abgekühlt war – aufgrund des großen Altersunterschieds? Oder aus anderen Gründen?
Ich dachte an Margrete Moberg – die unabänderlich tot war. Ermordet. Und Moberg war in Stavanger, als sie ermordet wurde, daran gab es keinen Zweifel. Aber Frau Kvam – wo war sie gewesen? Und Kvam selbst?
Ich dachte daran, daß es tatsächlich Henning Kvam gewesen war, der die mysteriöse Wohnung gemietet hatte unter dem Namen Stein Wang. Also war er es, mit dem Frau Moberg ihre Rendezvous gehabt hatte. Um Rauschgift von ihm zu bekommen? Oder waren es ganz einfach – Rendezvous?
Und wie paßten Frau Grande und ihr Sohn Peter in dieses Bild? War der Haß des Sohnes auf den Vater so groß, daß er alles getan hätte, um ihn zu verletzen? Sogar seine neue Frau ermorden? Oder war es gar kein Haß? War vielleicht das Gegenteil von fehlender Liebe ganz und gar nicht Haß, sondern nur immer wieder große Leere?
Zwei Anrufe unterbrachen meinen Gedankengang. Der erste war von Finckel. Er begann wie gewöhnlich ohne besondere Einleitung: »Veum? Jetzt pfusche ich dir bald ins Handwerk, alter Räuber. Ich hab ein bißchen für mich allein Detektiv gespielt. Es kam mir nämlich plötzlich äußerst mysteriös vor, daß ein Mann wie Henning Kvam direkt aus dem Gefängnis kommt und sich mit einer eigenen Firma selbständig machen konnte – und hast du mir nicht erzählt, daß auch der Firma das ganze Haus gehört?«
»Das sagte er.«
»Also, ich hab im Handelsregister nachgeschlagen. Das solltest du auch jedesmal tun, wenn dir ein Firmenname über den Weg läuft. Da gibt’s interessante Fakten abzustauben. Laß dir das von einem alten Fuchs gesagt sein, Veum.«
»Ja?« sagte ich. »Was hast du
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