Das Haus mit der grünen Tür
war allein gekommen.
Er hätte Informationen, hatte er gesagt. Wahrscheinlich wichtige Informationen. Zu wichtig – für jemanden? Oder war das Ganze eine Falle?
Ich schob die Tür ganz auf, trat schnell ins Zimmer und dann links zur Seite. Es stand niemand hinter der Tür. Es rührte sich überhaupt nichts. Nicht in Zimmer 323.
Zimmer 323 war ganz und gar unverändert, wenigstens etwas im Leben, das sich nie veränderte. Der kleine runde Tisch stand vor dem schmutzigen Fenster. Das Waschbecken hatte einen Rand aus Bartstoppeln und eingetrocknetem Seifenschaum. Das Bett war ungemacht, die Bettwäsche nicht so rein und weiß, wie sie hätte sein sollen. Der Spiegel hatte noch immer denselben Sprung, und das unbestimmbare platte Stück Textil lag noch immer vor dem Bett. Niemand hatte es bewegt oder auch nur angerührt – außer vielleicht ein neugieriger Detektiv, der ein paar Tage zuvor hier gewesen war.
Und neben dem kleinen runden Tisch stand ein Stuhl. Und auf dem Stuhl saß ein Mann.
Ragnar Veide hatte er sich genannt. Er hatte glattes, gerade nach hinten gekämmtes Haar und tiefe Geheimratsecken. Er hatte ein längliches, hageres Gesicht und glasige, nervöse Augen gehabt, die jetzt nur noch glasig waren. Er saß ein wenig vornübergebeugt da, wie im Schlaf oder tiefer Meditation. Die linke Hand lag auf dem kleinen runden Tisch. Die fünf Finger waren gespreizt, als versuchte er, sich festzuhalten. Die andere Hand hing schlaff herunter. Direkt unter dieser Hand lag ein Revolver. Es war ein stupsnasiges, kleines Ding – soweit ich sehen konnte eine S & W Police Special: ein Souvenir von einer Reise, ein Ticket für eine andere. Er wirkte merkwürdig fehl am Platz, wie er da lag, direkt unter der Hand des Mannes, der sich Ragnar Veide genannt hatte. Ebenso fehl am Platz wie das kleine runde Loch, das er in der Stirn hatte, zwei Zentimeter über der rechten Augenbraue.
Das Loch war klein und rund, ein wenig unregelmäßig, und es hatte einen grauschwarzen Rand aus Pulverrückständen.
Es war kein großes Loch. Aber es war groß genug. Der Mann, der sich Ragnar Veide genannt hatte, würde mir nie mehr Informationen geben. Der Mann, der sich Ragnar Veide genannt hatte, war tot.
40
Ich umkreiste den toten Mann wie ein Wolf sein Opfer. Ich hielt gleichmäßigen Abstand und hütete mich, irgend etwas zu berühren.
Alles deutete auf Selbstmord hin: der Revolver, der direkt unter der rechten Hand lag, der grauschwarze Rand um das Einschußloch.
Aber würde ein Selbstmörder anrufen und ein Treffen vereinbaren, bevor er sich den Revolver an die Stirn setzte? Unwahrscheinlich. Auf der anderen Seite: Es gab nichts in dem Zimmer, was wie ein Abschiedsbrief aussah. War das die »Information«, die er gehabt hatte: sein eigener Tod? War das eine Art und Weise, sich schuldig zu bekennen? Aber für den Fall, daß: Wer war er? Ein verschmähter Liebhaber? Ein Rächer aus der Vergangenheit?
Ich legte eine Fingerspitze vorsichtig an die Seite seines Halses. Die Haut war noch warm. Also war er es wahrscheinlich tatsächlich gewesen, der angerufen hatte und nicht jemand, der seine Stimme nachahmte.
Ich erinnerte mich an das schwache Näseln am Telefon. Ich beugte mich vor und schnupperte an seinem Mund. Er roch nach Schnaps. Ich sah mich wieder im Raum um. Im ganzen Zimmer war kein Glas zu sehen. Ich konnte keine Flaschen entdecken. Ich ging in die Knie und sah unter das Bett. Keine Flasche. Kein Glas.
Aber er roch nach Schnaps.
Ich stand da und sah ihn an. Es juckte mich in den Fingern, ihm in die Taschen zu greifen und zu sehen, ob er eine Brieftasche bei sich hatte – mit Papieren, einer Identität, einem Namen für die Leiche.
Aber ich wußte, daß das dumm wäre. Muus hatte mich vielleicht am Tag zuvor als Verdächtigen abgeschrieben, aber nichts sprach dagegen, daß er seine Meinung ändern konnte.
Der Gedanke ließ mich zusammenzucken. Ein neuer Gedanke schoß mir ein. Und wenn nun der Mann, der sich Ragnar Veide genannt hatte, nicht von eigener Hand gestorben war, sondern durch die eines anderen? Und wenn nun der, dem diese Hand gehörte, die Polizei anriefe? Und wenn die am Tatort auftauchte und einen gewissen Varg Veum vorfand, der gerade intensiv damit beschäftigt war, etwas zu arrangieren, das wie ein »Selbstmord« aussah?
Das sähe nicht gut aus. Ich verließ das Zimmer, warf einen letzten Blick hinein, aber ich sah nichts Neues.
Ich ging schnell hinunter an die Rezeption. Der Mann sah mich mit
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