Das Haus mit der grünen Tür
letzten Blick auf ihn, bevor wir den Raum verließen. Er war kein Freund gewesen, und ich hatte ihn nicht leiden können, ich fühlte also keine Trauer. Aber er war tot, und tote Menschen machen mich immer betrübt. Wie wenn du eine Streichholzschachtel öffnest und findest, daß sie leer ist.
Es wurde ziemlich spät in der Nacht, bevor sie mich laufen ließen. Aber sie hatten mir nichts getan. Nur geredet und zugehört. Und ich hatte geredet und zugehört.
Ich hatte ihnen alles erzählt, was ich über das Haus mit der grünen Tür und Henning Kvam und Kate Kvam und Teddy Lund wußte, mit Ausnahme einer Sache. Ich hatte ihnen nicht erzählt, wer die Aktienmehrheit in der Firma hatte: Das sollten sie selbst herausfinden. Ich hatte ihnen erzählt, daß einige der Mädchen in dem Haus mit Rauschgift bezahlt wurden und daß wahrscheinlich auch ein direkter Verkauf vom selben Ort organisiert wurde. Ich hatte ihnen erzählt, daß Frau Kvam früher Mobergs Sekretärin gewesen war, und daß es allem Anschein nach Kvam war, mit dem Frau Moberg ihre Rendezvous gehabt hatte, in der mysteriösen Wohnung im Zentrum.
Sie hatten eine Streife zum Haus mit der grünen Tür geschickt, aber es war leer. Sowohl Kate Kvam als auch Teddy Lund waren weg, aber Muus versicherte mir, daß es nicht lange dauern würde, bevor sie hinter Gitter saßen.
In der Zwischenzeit tauschten wir Theorien aus, wie kleine Mädchen in einem Treppenhaus Oblaten tauschen: Ich tauschte ein paar meiner schlechtesten gegen ihre besten – und so waren alle zufrieden. Sie jedenfalls.
Die Polizei hielt den Fall für so gut wie gelöst. Was noch ausstand, war die normale Routine: Beweise sammeln, Zeugenaussagen einholen, den Staatsanwalt benachrichtigen. So waren alle froh und glücklich. Ich bekam einen Klaps auf die Schulter und einen Puff in die Seite zum Abschied. Ein paar gaben mir sogar noch die Hand. Muus’ Gesicht war vor Aufregung gerötet, als hätte er sich ein bißchen zu eifrig aus einer versteckten Büroflasche bedient. Es war klar, daß auch er einen Schlußstrich gezogen hatte, jedenfalls was die grobe Arbeit anging. Er sagte: »Sollten noch weitere Leichen auftauchen, Veum, dann laß sie bloß liegen. In den ersten Tagen riechen sie noch nicht.«
Als alle Abschiedsrituale überstanden waren, fand ich mich draußen auf der Treppe vor der Wache wieder. Es war eine sternenklare, kühle Nacht geworden. Ich schlug den Mantelkragen hoch und machte mich auf den Heimweg.
Es war Samstagabend, und eine größtenteils jugendliche Klientel bestimmte das Straßenbild. Ein großer Teil war äußerst betrunken und würde sich in wenigen Stunden nicht mehr sehr jugendlich fühlen.
Ich dachte an die treue Aquavitflasche, die zu Hause stand und auf mich wartete, und der Gedanke wärmte mich.
Die Polizei hielt also den Fall für so gut wie gelöst.
Na gut, dann war es also so abgelaufen. Ein paar unklare Punkte gab es noch, aber trotzdem. Frau Moberg war rauschgiftsüchtig gewesen – war eine Zeitlang clean – aber dann war sie wieder in den Sumpf gefallen. Sie hatte Henning Kvam getroffen, auf die eine oder andere Weise, und wahrscheinlich war Moberg das unwissende Zwischenglied. Vielleicht hatten sie ein Verhältnis begonnen, vielleicht war es nur eine Beziehung zwischen Verkäufer und Käuferin. Das würden wir vielleicht nie erfahren. Sie waren beide tot.
Dann war eine Krise eingetreten. Sie wollte wieder einen Entzug machen, oder sie wollte ihn als Liebhaber loswerden. Ihre Verbindung zu dem Rauschgiftanwalt Moberg wurde plötzlich gefährlich. Aber sie und Kvam trafen sich weiterhin, vielleicht weil sie zu abhängig war – von dem Gift.
Dann flog Moberg nach Stavanger, und Kvam wußte das. Aber da hatte er mich schon aufgesucht, da war er schon bei mir gewesen und hatte sich Ragnar Veide genannt und hatte mich gebeten, sie zu beschatten. Warum? Um einen Sündenbock zu haben? Oder hatte er andere Gründe? Und wenn ja: welche?
Aber Moberg war nach Stavanger geflogen, und Kvam hatte Frau Moberg aufgesucht, nach Mitternacht, wenn er nicht schon da war, als sie von Flesland zurückkam. Etwas war geschehen, und er hatte sie umgebracht.
Und als Hilde Varde sie am nächsten Morgen fand, lag sie im Auto. Warum war sie im Auto? War sie schon im Auto, als sie ermordet wurde? Und Moberg war in Stavanger. Aber Moberg hatte die Aktienmehrheit in Kvams Firma gehabt: eine Geste einem früheren Klienten gegenüber, um ihm auf den rechten Weg
Weitere Kostenlose Bücher