Das Haus mit der grünen Tür
Unterschied, daß er eine Brille trug. Trotzdem war es, als hätte das Gesicht den Charakter verändert, wie es Gesichter tun, wenn man ihnen Brillen aufsetzt.
Ich fragte nicht noch einmal um Erlaubnis. Ich wußte schon, was ich entdecken würde. Ich hatte ihn wiedererkannt. Ich setzte den Kamm im Nacken der Leiche an, und mit ein paar schnellen Bewegungen hatte ich sein Haar nach vorn gekämmt, in die Stirn, so daß es die Geheimratsecken verdeckte und ihn jünger aussehen ließ – und wie ein ganz anderer Mann.
Die Gruppe um Muus war sprachlos. Muus riß die Klappe auf – »Mensch! Wo hast du denn den Trick gelernt, Veum? Im Zauberbuch für Kinder?«
Ich betrachtete den toten Mann vor mir. Es war noch immer ein toter Mann, aber es war nicht mehr der Unbekannte, der sich Ragnar Veide genannt hatte. Es war ein ganz anderer Mann. Es war Henning Kvam.
42
Eine Weile standen wir da und sahen die neue Leiche an. Die Leiche, die nicht mehr der Mann war, der sich Ragnar Veide genannt hatte, sondern Henning Kvam.
Andersen suchte nach dem Namen: »Kv … Kva …«
»Kvam«, sagte ich. »Henning Kvam.«
Muus nickte. »Ich kenne ihn. Er stand schon früher mal auf unserer Kundenliste. Ein aalglatter Typ. Immer schlagfertig, immer gewieft und nicht um Einfälle verlegen. Der König der kleinen Schwindler, ein schlauer Fuchs. Aber kein großer Fisch.«
Der Spurensicherer mit den großen Brillengläsern beugte sich vor und sah der Leiche in die Augen. Dann drehte er sich zu uns um. »Kontaktlinsen. Er trägt Kontaktlinsen.«
»Kontaktlinsen«, wiederholte ich. »Und die Brille in der Tasche. Und er riecht nach Schnaps. Aber es sind keine leeren Flaschen im Zimmer, keine schmutzigen Gläser.«
Muus sah mich starr an. »Was faselst du da? Der Typ hat sich verkleidet und Kontaktlinsen getragen, um zu verbergen, wie kurzsichtig er war. Das ist ein alter Trick. Und was ist mit dem Schnapsgeruch?«
»Ja, was ist damit?«
»Sagtest du nicht, seine Stimme sei näselnd gewesen, als du mit ihm sprachst?«
»Doch.«
»Dann wird er wohl vorher was getrunken haben: Das können wir an der Rezeption nachfragen, ob er beschwipst war oder nicht. Weißt du sonst was über den Vogel – im Zusammenhang mit dieser – mit Frau Moberg?«
Also erzählte ich es ihm, ohne Rigmor Moe zu erwähnen, und ohne zu erwähnen, wann ich es herausgefunden hatte. Ich erzählte ihm vom Haus mit der grünen Tür und dem, was dort vorging. Ich erzählte, daß ich ziemlich sicher war, daß die verstorbene Frau Moberg rauschgiftsüchtig gewesen war und daß sie ihre Rationen von Kvam bekommen hatte.
Muus unterbrach mich. »Und dann mußte er sie loswerden. Aus irgendeinem Grund.«
Andersen sagte, leise: »Vielleicht wollte sie einen Entzug machen, vielleicht wollte sie ihren Mann dazu bewegen, dem ganzen schmutzigen Geschäft Kvams ein Ende zu machen.«
Muus wunderte sich, wie glatt das ging. »Und dann mußte er sie umbringen … Aber warum zum Henker hat er diesen Vogel hier engagiert, um sie zu beschatten? Warum hat er diesen ganzen Zirkus aufgezogen?«
»Ich könnte mir denken«, sagte ich langsam, »daß er einen Sündenbock haben wollte. Einen, der direkt vor dem Mord am Tatort gesehen wurde. Einen, der vielleicht nicht die Schuld an dem Mord bekäme, aber der in jedem Fall ordentlich für Verwirrung sorgte.« Ich stockte. Das klang zu dumm. So was gibt es nicht – nicht in der Realität. Das war kein ausreichender Grund. Es mußte etwas anderes dahinterstecken – irgend etwas. Ich erahnte die Umrisse, undeutlich. Als würde es auf dem Grund vor einer Brücke schwimmen, auf der ich auf dem Bauch lag und ins Wasser starrte. Ich fügte nachdenklich hinzu: »Aber in dem Fall – in dem Fall machte er den Bock – zum Gärtner.«
Muus und die anderen schienen meine Vorstellung inzwischen für bare Münze zu nehmen. Muus’ Gesicht leuchtete auf. »Soso, soso. Er brachte sie um, und dann – als wir anfingen, in der Sache rumzuwühlen – und ihm auf die Pelle rückten –«
Wir? dachte ich.
»– da begriff er, daß das nicht gutgehen würde. Und anstatt auf uns zu warten, nahm er den kürzeren Weg zur Hölle. Direkt, ohne Rückfahrkarte. Peng, peng!« Er setzte einen Zeigefinger an die Stirn und tat, als würde er sich erschießen.
»Aber …«, sagte ich.
Er übersah mich.
Dasselbe tat Kvam. Er saß auf seinem Stuhl und starrte resigniert vor sich hin. In seinem Kopf herrschte Durchzug, und niemand machte die Fenster zu.
Ich warf einen
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