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Das Haus Zeor

Das Haus Zeor

Titel: Das Haus Zeor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacqueline Lichtenberg
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Bittsteller die wichtigste Person der gesamten Umgebung und erhielt die volle Aufmerksamkeit eines Sectuib. Es war, erfuhr Valleroy, eine amüsante Erfahrung. Zusammen mit Klyds Fähigkeit, Autorität delegieren zu können, war sein Geschick im Umgang mit Einzelpersonen wirklich das, was Zeor groß machte unter den Haushalten.
    Valleroy konnte nicht leugnen, daß der Sectuib Harris vom Haushalt Zeor eine Persönlichkeit war, fähig, tüchtig und fleißig. Aber heute war Valleroys Tag der Abrechnung. Er war jetzt schon einen ganzen Tag frei von Medikamenten, und noch immer fühlte er sich munter wie eh und je. Heute würde er sich auf die Suche nach Aisha machen – persönlich.
    Seine Schritte hallten in den verlassenen Korridoren. Nur die Bauern, welche die Ernte einzubringen hatten, waren so früh auf, und sie waren schon längst auf die Felder gegangen. Valleroy trat durch die riesigen Doppeltüren, die auf den Innenhof hinausführten, den er von seinem Krankenzimmerfenster aus betrachtet hatte. Rechts von ihm gewährte eine weitere Tür Zugang zu dem Gebäude, in dem Klyd arbeitete … zu seiner Linken die Krankenstation und Wohngebäude … direkt voraus die gewaltigen, versperrten Tore, die Zeor von der Sime-Stadt Valzor trennten. Auf dieser Seite der hohen Steinmauer war es den Haushaltsmitgliedern freigestellt zu handeln, wie es ihnen gefiel. Auf der anderen Seite war jeder Gen, der keine Halskette und Plaketten trug, Freiwild für schnelles Töten oder um in die Pferche verkauft zu werden. Und dort draußen, irgendwo auf der anderen Seite dieser Mauer befand sich Aisha.
    Valleroy stellte sich der Welle kalter Luft und stürmte über den verlassenen Hof. Auf halbem Wege zu seinem Ziel hörte er ein leises, klopfendes Geräusch. Er blieb auf der Stelle stehen und hielt den Atem an. Es gab keinen Wind, der die Zweige der Bäume hätte bewegen können. Aber das Klopfen wiederholte sich, kaum mehr als eine unruhige Bewegung.
    Den Kopf konzentriert in den Nacken gelegt, ging Valleroy ein paar Schritte auf die Außenmauer zu und hielt an. Wieder kam es, jetzt lauter. Er schritt auf das kleine Seitentor links von den großen Toren zu. Erneut dieses hämmernde Klopfen, aber dieses Mal entdeckte er bewußtes Drängen dahinter, als habe der Klopfende bemerkt, daß jemand kam.
    Nachdem Valleroy seine Folio-Mappe an die Wand gelehnt hatte, hob er den mächtigen Riegel, der das Außentor gegen Berserker oder Sime-Plünderer schützte. Dann riß er das Tor auf und fürchtete sich halb vor dem, was ihn jetzt erwartete.
    Die blutige Vogelscheuche, die in seine Arme taumelte, war weniger schockierend als die Szene, die er sich vorgestellt hatte. Valleroy fing die schlaffe Gestalt auf, verlor durch das schlüpfrige Blut fast den Halt und legte sie auf die Pflastersteine. Um die Hüfte des Mannes war eine der Peitschen der Sime-Plünderer gewickelt, vollständig, mit dem in Einlegearbeit verzierten Griff. Sie kam Valleroy vor wie ein grotesker Kontrast zu dem zerschundenen, zeor-blauen Overall. Das Gesicht und der Körper des Mannes waren mit Hunderten von Fleisch wunden bedeckt, als wäre er eine Kiesböschung hinuntergestürzt. Aber das meiste Blut strömte aus den Unterarmen. Er schälte die Ärmel hoch und fand tief aufgeschlitzte Tentakelscheiden vor, aus denen rhythmisch das Blut spritzte, aber nicht mehr so reichlich wie vorher. Unter Valleroys Augen pumpte es sichtbar langsamer heraus.
    „Ich werde den Sectuib Farris holen“, sagte Valleroy in seinem beruhigendsten Tonfall, obwohl er wußte, daß dieser Mann kein weiteres Morgengrauen erleben würde.
    „Bleib, Naztehr!“ sagte der Sime heiser und bot all seine Kraft auf.
    Valleroy hielt an, versteinert von einem seltsamen Frösteln über des Mannes Gebrauch der vertraulichsten Mitgliedschaftsbezeichnung des Haushalts – dieser einen Bezeichnung, mit der er noch nie zuvor benannt worden war. Er mußte sich weit hinunterbeugen, um das schwache Wispern des ersterbenden Atems zu hören. „Sag Klyd … Hrel spioniert für Andle … Aisha … bei Runzi …“
    Die blutgetränkte Gestalt wurde schlaff, die Augen erstarrten, und Valleroy wußte, daß das rhythmische Spritzen des Blutes aufhörte, noch bevor er hinsah. Er stand auf, wiederholte jene seltsamen Worte … Andle, Runzi … immer wieder sagte er sie vor sich hin, in der Furcht, die Botschaft vom Rande des Grabes zu vergessen.
    Eine Tür quietschte hinter ihm auf und öffnete sich. Stiefelsohlen klapperten auf

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