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Das Haus Zeor

Das Haus Zeor

Titel: Das Haus Zeor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacqueline Lichtenberg
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lernen.
    Sie ritten gleichmäßig, Seite an Seite, wobei sie gelegentlich an einem Wagen oder einem anderen Reiter vorbeikamen. Einmal, als zwei schwerbeladene Kornwagen aneinander vorbeifuhren, mußten sie die Straße verlassen. Und mehr als einmal zogen ihre blauen Zeor-Umhänge neugierige Blicke auf sich oder verursachten in offenem Abscheu geschürzte Lippen.
    Jeder andere Sime, dem sie begegneten, trug die bevorzugte Sime-Waffe, die lange, geschmeidige, über den Gürtel gewickelte Peitsche. Diese Nichtgetrennten ließen geringschätzige Blicke über Klyds bloße Hüften streichen, während der Kanal ihre Haltung mit einer offenkundig vorgetäuschten Unschuld ignorierte.
    Entlang dieser Hauptschlagader waren auf beiden Seiten Bauernhäuser in die Landschaft getupft, und hier und da erblickte man die Silhouetten kleiner Städte. Valleroy sah das grüne Banner über einer solchen Ansammlung von Häusern wehen und wußte, daß es das Vorhandensein eines Pferchs bedeutete. In der weiten Ferne, am Hang eines Hügels hinter dem bannergeschmückten Gebäude, sah er grünbekleidete Arbeiter Getreide ernten – Gens, die ihre eigene Nahrung zogen, Zuchtmaterial.
    Geschichten aus seiner Kindheit stiegen in seiner Erinnerung auf und quälten ihn. Er fragte: „Ist es wahr, daß man Drogen einsetzt, damit die Gen-Frauen in den Pferchen mehr Kinder gebären?“
    Klyd warf ihm einen scharfen Blick zu, da er offensichtlich Valleroys wogende Empfindungen spürte. Er bog von der Straße ab, glitt aus dem Sattel und lockerte das Zaumzeug, damit sein Pferd grasen konnte. Valleroy folgte seinem Beispiel. Sie waren seit Stunden ununterbrochen geritten. Er war trotz der Erinnerung an das Begräbnis hungrig genug, um etwas zu essen.
    „Die Gens dort werden gut behandelt“, sagte der Kanal, während er sein Mittagessen aus seiner Satteltasche grub.
    „Gut behandelt?“ schnaubte Valleroy.
    „Gewiß. Sie sind wertvolles Eigentum, oder etwa nicht?“ Klyd nahm die Feldflaschen und setzte sich zwischen ein paar Steinen nieder, von wo aus er einen ruhigen Tümpel am Rande eines Baches sehen konnte. Nur die Geräusche gelegentlich passierender Reiter schmälerten die Stille des warmen Altweibersommer-Nachmittags.
    Auf Valleroys ungläubigen Blick hin fuhr Klyd fort: „Nur während der letzten paar Monate, nachdem sie bereits für die Verteilung gekennzeichnet worden sind, ist ihre Gesundheit und ihr Wohlergehen nicht mehr wichtig. Aber selbst dann werden sie noch gut ernährt.“
    „Du bist so schlimm wie all die anderen! Du sprichst rechtschaffen über Abtrennung, und dann debattierst du über sie …“ – er deutete mit einer Hand zu dem Weg hin, auf dem sie gekommen waren, dorthin, wo das grüne Banner kaum über die Anhöhe gesehen werden konnte, und dabei imitierte er unbewußt die Sime-Geste – „… als wären sie nur Vieh!“
    Unbeirrt nahm Klyd einen Bissen von einem Laib Schwarzbrot, kaute und schluckte sorgfältig, bevor er antwortete. „Diese Leute sind auch nichts weiter als Tiere.“ Bei Valleroys empörtem Aufstehen mache der Kanal eine ungeduldige Geste. „Setz dich und iß. Vielleicht wirst du etwas lernen, wenn du lange genug still sein und zuhören kannst.“
    Mürrisch setzte sich Valleroy wieder hin und biß in den Brotlaib. Das kuchenartige Brot war saftig und mit Flocken von Nußsubstanz und Fruchtstücken durchsetzt. Er fand die Feldflasche mit einem würzigen, sirupartigen Getränk gefüllt, das den Durst stillte, ohne übermäßig zu sättigen. Zwischen zwei Bissen sagte er: „Ich höre.“
    „Diese Leute dort drüben …“ – Klyd zeigte mit einem graziösen Tentakel auf das ferne Banner – „… sind nicht deine Leute und sind es nie gewesen. Sie sind in den Pferchen geboren worden. Sie haben keine nennenswerte Sprache, keine Kultur und keine Kunst. Sie haben keine Religion und kaum so etwas wie moralische Leitlinien in ihrem Verhalten. Sie sind tatsächlich fast wie Tiere.“
    Klyd hielt inne, um das einwirken zu lassen, und nahm einen kräftigen Zug aus seiner Feldflasche. „Das ist der Hauptgrund, weshalb die meisten Simes da draußen …“ – er machte eine ausgedehnte Handbewegung, die das gesamte Sime-Territorium einschloß – „… nicht glauben können, daß Gens wirklich Menschen sind. Wenn aber Gens keine Menschen sind, dann gibt es keinen Grund, sie nicht so zu töten, wie ihr Tiere schlachtet, um sie zu essen. Wenn Gens keine Menschen sind, dann sind Simes, die sich mit ihnen

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