Das Haus Zeor
den Sattel. Die Finger glitten vom Knauf ab. Das glatte Material des Zeor-Overalls rutschte Stück für Stück, als er mit den Knien Halt bewahren wollte. Rasend packte er die Käfigstäbe, um nicht unter die Räder des Wagens zu geraten. Sein Stiefel verfing sich im Steigbügel, wurde herumgerissen.
Er hing zwischen Pferd und Wagen in der Schwebe und kämpfte verzweifelt darum, mit den Händen nicht abzurutschen, als einer der Gefangenen einen Würgegriff um seine Kehle legte.
Klyds rufende Stimme war nur ein schwaches Geräusch hinter dem Summen in seinen Ohren.
Das Langsamerwerden des Wagens schien ewig zu dauern. Schließlich kam er zum Stillstand. Sime-Hände und -Tentakel rissen ihn los. Er kauerte auf dem Boden und rieb sich den Hals. Klyds Tentakel betasteten und untersuchten seine Verletzungen. Auf Simelisch murmelte der Kanal: „Wilde Gens sind gefährliche Tiere. Hast du diese Lektion jetzt möglicherweise gelernt?“
Nur das schiefe Lächeln auf dem Gesicht des Kanals hielt Valleroy davon ab, ihm auf die Nase zu schlagen.
„Die Regel, Naztehr, ist, sie zu ignorieren, bis sie zivilisiert worden sind. Es dauert nicht allzu lange.“
Valleroy stieß die Hände des Simes beiseite. „Mir fehlt nichts. Gehen wir.“ Er stieg wieder auf das Pferd, und sie nahmen den Ritt durch die spärlich besiedelte Landschaft wieder auf.
Als sie in Imil ankamen, wurden die Pferde und der Wagen mit den Gefangenen um die hinteren Hofgebäude herumgeführt – Zeor im Aussehen sehr ähnlich –, und die Reiter kamen durch das Haupttor hinein.
Da Valleroy keine Mittagsmahlzeit gehabt hatte, war er sehr froh, von einem reichlich gedeckten Tisch begrüßt zu werden, der auf der einen Seite des Haupt-Speiseraumes aufgestellt war. Sie kamen gerade noch rechtzeitig, um mit der letzten Schicht ihr Abendessen einzunehmen, aber die meisten Abteilungs-Leiter hatten auf Nashmars Rückkehr gewartet.
Wenngleich Valleroy über das Essen froh war, so war er doch nicht in der Stimmung für gesellschaftliche Unterhaltung. Er widmete sich allein dem Mahl und verhielt sich still. In dieser Gesellschaft war er ein angesehener Kunsthandwerker, dessen Dienste für einen hohen Preis erbracht wurden. Er hatte an diesem Nachmittag genügend Kränkungen getrotzt, so daß ihm sein Status hier wirklich wichtig war.
„Hugh“, sagte Klyd leise, „es war ein langer Tag. Möchtest du dich nicht lieber ein bißchen ausruhen?“
Valleroy schaute verwirrt auf und fand den langen Bankett-Tisch, abgesehen von den Resten des Mahles, verlassen. Er schluckte den Rest seines Getränks hinunter und erhob sich. „Ich nehme an, ich bin gerade durch mein Diplomatie-Examen gefallen.“
„Exzentrisches Benehmen wird von Künstlern erwartet. Morgen wirst du dich besser fühlen.“
Als Klyd und Valleroy in den Korridor hinaustraten, schwärmte das Küchenpersonal mit Reinigungswagen aus, als hätte es nur darauf gewartet, daß die Besucher gingen.
„Du mußt diesen Ort ziemlich gut kennen …“
„Imil ist ganz ähnlich wie Zeor angelegt, nur daß es von Westen nach Osten orientiert und Spiegel verkehrt gebaut ist. Wir bekommen die Gästesuite mit Blick auf das Haupttor.“
„Ich bin nie dort oben gewesen … Ich meine, in Zeor.“
„Du wirst zweifellos erfreut sein festzustellen, daß die Suite zwei große, getrennte Schlafzimmer hat.“
„Oh, so schlimm war es nicht.“ Valleroy errötete leicht unter seiner Bräune. Er hatte die ganze Nacht über steif wie eine Leiche dagelegen, weil er sich davor gefürchtet hatte, Klyd würde einen unvorstellbaren Vorstoß unternehmen.
Als sie in ein breites Treppenhaus einbogen, lachte Klyd. „Wenn Yenava wüßte, was du gedacht hast, würde sie ohnmächtig werden! Kanäle sind buchstäblich unfähig zu etwas anderem als zu einer tugendhaften, wenngleich zeitweilig aussetzenden Heterosexualität.“
„Du mußt meine Gedanken gelesen haben.“
„Natürlich nicht. Aber deine Emotionen sind ein strahlendes Signalfeuer für jeden, der Gens so intensiv studiert hat wie ich.“
In der zweiten Etage mündete die Treppe in einen reichbehängten Flur, gesäumt von Skulpturen, die echte Antiquitäten zu sein schienen. Sie brachten den Spießrutenlauf zwischen den Vor-Sime-Statuen hinter sich, eindringlich der Tatsache bewußt, daß ihre gemeinsamen Vorfahren diese Meisterwerke geschaffen hatten.
Der Künstler in Valleroy hungerte danach, sie eingehender betrachten zu können, aber seine Augenlider waren
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