Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose
aufeinanderknallenden Puffer nicht ein weiteres Trauma erleidet. Die Erinnerungen stürmten nur so auf mich ein, jede von ihnen ausgelöst durch das Geräusch eines Signalhorns, das einen Pulk Arbeiterinnen nach Hause zu ihren Familien schickt.
»Du wirkst irgendwie abwesend«, sagte Soja, als sie sich bei mir einhakte und ihren Kopf für einen Moment an meine Schulter legte. »Ist alles in Ordnung?«
»Ja, mir geht’s gut, Duscha«, sagte ich mit einem Lächeln und küsste sie sanft auf den Scheitel. »Nur ein paar alberne Gedanken. Ich habe einen Augenblick lang gedacht …«
»Soja!«
Die hinter uns ertönende Stimme ließ uns innehalten, und als wir uns umdrehten, sahen wir Laura auf uns zustürmen, ein paar andere Frauen in ihrem Schlepptau. Sie würden noch einen Tee trinken gehen, erzählte sie, wobei sie mich prüfend von oben bis unten musterte. Ob Soja sich ihnen nicht anschließen wolle?
»Ich kann nicht«, gab Soja zur Antwort und machte sich nicht die Mühe, mich vorzustellen. Sie ging einfach weiter und zog mich hinter sich her. »Tut mir leid. Vielleicht ein andermal.«
»Freundinnen von dir?«, fragte ich, davon überrascht, wie schnell sie von ihnen wegzukommen versuchte.
»Das wären sie gerne«, sagte sie. »Aber wir sind bloß Arbeitskolleginnen, mehr nicht.«
»Ich kann nach Hause gehen, wenn du mit ihnen noch einen Tee trinken möchtest. Schließlich kennen wir kaum jemanden in London. Es wäre vielleicht ganz nett …«
»Nein«, unterbrach Soja mich schnell. »Nein, das möchte ich nicht.«
»Aber warum nicht?«, fragte ich sie überrascht. »Magst du sie denn nicht?«
Sie zögerte, und ihr Gesicht nahm einen bekümmerten Ausdruck an, bevor sie mir antwortete.
»Wir sollten keine Freundschaften schließen«, sagte sie dann.
»Das verstehe ich nicht.«
» Ich sollte keine Freundschaften schließen«, korrigierte sie sich. »Sie sollen keinen engeren Kontakt mit mir haben, das ist alles.«
Ich runzelte die Stirn, denn ich war mir nicht sicher, wie sie das meinte. »Aber das verstehe ich nicht. Was könnte es denn schaden? Soja, wenn du glaubst, dass …«
»Es ist nicht sicher, Georgi«, fuhr sie mir schnell über den Mund, wobei sie mich wütend anstarrte. »Es wird ihr nicht guttun, wenn sie sich mit mir anfreundet. Ich bringe Unglück. Das weißt du doch. Wenn ich jemanden zu nahe …«
Ich blieb mitten auf dem Bürgersteig stehen und schaute sie erstaunt an. »Soja!«, schrie ich, wobei ich sie am Arm packte und sie zu mir hindrehte, damit sie mir ins Gesicht schaute. »Das ist doch wohl nicht dein Ernst?«
»Wieso nicht?«
»Du bringst Unglück? Wie kommst du darauf? Das ist einfach lächerlich.«
»Mich zu kennen, heißt zu leiden«, erwiderte sie, mit einer tiefen und ernsten Stimme, wobei ihre Augen hin und her huschten, während ihr die Sorgenfalten ins Gesicht traten. »Das ergibt keinen Sinn, Georgi, ich weiß. Aber es ist dennoch wahr. Siehst du es denn nicht auch? Ich möchte mich nicht mit Laura anfreunden. Ich möchte nicht, dass sie stirbt.«
»Dass sie stirbt?«, schrie ich, wobei ich mich schnell umdrehte und einen Mann anfunkelte, der sich an uns vorbeigedrängelt und mich dabei leicht angerempelt hatte, was mich dermaßen in Rage versetzte, dass ich ihm am liebsten hinterhergelaufen wäre, um ihn zur Rede zu stellen. Vielleicht hätte ich dies sogar getan, hätte Soja mich nicht fest am Ellbogen gepackt und mich gezwungen, sie anzuschauen.
»Ich bin jemand, der nicht am Leben sein sollte«, sagte sie, und ihre Worte ließen die Menge um uns herum zu Staub zerfallen, sodass wir beide nun ganz allein auf der Welt waren. Mein Herz pochte wie wild, als ich den zutiefst überzeugten und unglücklichen Gesichtsausdruck meiner Frau wahrnahm. »Er hat es in mir gesehen«, fuhr sie fort, wobei sie von mir wegschaute und sich stattdessen auf die hohen Schneewälle konzentrierte. Ich konnte das Lachen der Kinder hören, wie sie durch die Verwehungen stapften und Schneebälle formten, um sich damit zu bewerfen, ihre entsetzten Schreie, wenn sie ihre kleinen Hände tief in den Schnee gruben und ihre Finger vor Kälte taub wurden. » Armes Kind , sagte er. Sie kommen alle zu Schaden, wenn sie dir nahe sind, nicht wahr? «
»Soja«, sagte ich erschrocken, denn das hatte sie mir gegenüber noch nie erwähnt. »Ich weiß nicht … wie konntest du …«
»Ich will keine Freunde haben«, fauchte sie. »Ich brauche niemanden. Niemanden außer dir. Denk daran. Denk an sie
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