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Das Haus

Das Haus

Titel: Das Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Maier
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Kellerbesuchen unten blieb und die in das Wohnzimmer zurückgekehrten Besucher besorgt fragten, ob das denn normal sei, ob er denn nicht lieber etwas häufiger in den Sportverein zu den Gleichaltrigen gehen sollte. Ich glaube, die riesige Eisenbahn des elf- oder zwölfjährigen Jungen dort unten im Keller hatte sie einfach erschreckt.
    Auch am Tisch verhielt sich mein Bruder nicht falsch. Er hantierte ordnungsgemäß mit dem Besteck und führte ohne weiteres Gespräche mit den Erwachsenen, die neben ihm saßen.
    Meine Schwester verhielt sich ganz anders. Wenn es klingelte, dann schaute sie neugierig aus dem ersten Stock herunter und war auch bald schon an der Tür. Manchmal rief sie Ich will selbst aufmachen, ich will selbst aufmachen! Das beste Verhältnis hatte sie zu vollkommen fremden Menschen. Kamen die Großmutter oder der Onkel oder die Urgroßmutter, verließ sie enttäuscht die Tür und ging weg. Kam aber fremder Besuch, was sonntags auch geschehen konnte, dann blieb sie vom ersten Augenblick an dabei, und im Wohnzimmer setzte sie sich zu den Besuchern auf die Couch und am liebsten genau zwischen sie. Fremden wußte sie perfekt nach dem Mund zu reden, darin war sie mindestens so virtuos wie mein Bruder mit seinen technischen Fähigkeiten. Es war, als hätte man ihr von Anfang an einen Menschenkatalog mit allen Typen und Charakteren mitgegeben, und mit diesen Katalogeinträgen konnte sie jeden Menschen abgleichen und wußte sofort, wie am besten mit ihm umzugehen war. Sie begriff vom ersten Augenblick an ganz genau, wen sie vor sich hatte, das geschah natürlich nicht bewußt, sondern instinktiv. Vor allem war die Schwester begeistert von US-amerikanischem Besuch. Waren Amerikaner da, war sie aus dem Wohnzimmer nicht hinauszubringen. Sie lächelte und saß still da und schaute sie an mit großen Augen und hörte gebannt ihre Reden und ihren US-amerikanischen Sprechton und ihre Sprache und all die Worte darin. Besonders bei den jungen amerikanischen Offizieren wolltesie immer auf den Schoß. Die Amerikaner spielten Hoppe-Hoppe-Reiter mit ihr. Ging man dann zum Eßtisch, hatte die sieben- oder achtjährige Schwester einen Amerikaner an der Hand und ließ ihn nicht mehr los für den Rest des Besuchs. Schon mit fünf Jahren soll sie geschrien und geheult und um sich geschlagen haben, wenn man sie vom Schoß eines Amerikaners herunternahm oder der Betreffende das Haus verließ, um zu seiner Kaserne zurückzukehren. Ich habe keine Ahnung, worauf sie da reagierte. Hatten es ihr die Uniformen angetan, die amerikanische Sprache, die Abzeichen und Orden, überhaupt das militärische Wesen? Sie muß in frühen Kinderjahren schon verstanden haben, welches Verhältnis Deutsche und US-Soldaten zueinander hatten, wer der Privilegierte war bzw. der Sieger und wer nicht, wer Herr und wer Untertan. Das kann bei ihr natürlich nicht in Begriffen stattgefunden haben, sie war ja gerade einmal ein Grundschulkind. Aber sie roch all das vom ersten Augenblick an. Sie hatte dafür ein natürliches Talent, so wie ein Tier im Rudel genau weiß, welches das Alpha- und welches das Omega-Tier ist.

 
    W ochentags konnte ich in den Jahren nach dem gescheiterten Kindergartenversuch eigentlich immer tun, was ich wollte. Nachmittags lief ich oft in den Keller hinab, um meinem Bruder bei seinen Tätigkeiten dort unten im Bastelraum zuzuschauen. Gegen zwei oder drei Uhr kam er von der Schule zurück, hängte seine Jacke auf, bekam das Essen hingestellt, ging dann in den Keller und betrat den ersten Raum rechter Hand. Dieser Raum war für mich der phantastischste im ganzen Haus, er war zugestellt mit den verschiedensten Dingen und Pflanzen, hatte ein großes Fenster und besaß eine Ausgangstür zum Treppenschacht. Das Licht kam von schräg oben von der Usa-Seite, durch die einbruchssichere, mit Eisendraht durchflochtene Scheibe aus trübem Glas konnte man verschwommen das Grün der Bäume und das Braun der Äste sowie einen Streifen des Himmels darüber sehen, was dem Zimmer eine urweltliche Atmosphäre gab. Der Raum wurde als eine Art Wintergarten genutzt, vor dem ersten Frost schleppte mein Vater mit seiner Gartenhilfe die schweren Kübelpflanzen aus dem Garten den Treppenschacht hinab, um sie vor der kaltenTemperatur zu schützen. Unter dem Fenster stand eine Bank, auf der mein Bruder saß, und vor ihm befand sich ein Tisch, der mit Zeitungen abgedeckt war. Auf dem Tisch wiederum fanden sich Klebstoff, Garn, Pinsel, Becher mit Wasser,

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