Das Haus
eingefrorenen Kinder dann, zufällig zwischen das Gefriergut geraten und selbst zu einem solchen geworden, oben auf dem Eßtisch landeten, ohne daß es jemand bemerkte.
Einen Raum weiter der Wäscheraum. Auch er bekam kaum Tageslicht, die Decke schien hier höher als in den anderen Räumen zu sein, vielleicht wegen der Wäscheleinen, die in für mich unerreichbarer Höhe unter der Decke gespannt waren. Es war ein Raum wie aus einem Fritz-Lang-Stummfilm. Das spärliche Licht warf das Gittermuster des Fensters, das auf einen Lichtschacht ging, als Schatten an die Wände, ins Riesenhafte vergrößert, und an der gegenüberliegenden Wand stand ein Tisch, übergroß in seinen Ausmaßen und höher als jeder andere Tisch, den ich kannte. Das war der hölzerne Bügeltisch, an dem meine Mutter im Stehen arbeitete, darauf ein weißes Leinentuch wie von einem Gespenst. Der Raum war wie geschaffen dafür, um jemanden darin einzusperren und darben zu lassen. In einer Ecke stand eine elektrische Maschine mit einem roten Licht, die hauptsächlich aus einer Walze bestand und bedrohlich vor sich hin walzte, als wolle sie alles zerwalzen und am liebsten gleich mich oder wenigstens meine Hand und noch den Arm dazu. Mehrmals in der Woche saß eine Person, meistens meine Mutter, seltener Frau Eiler, auf einem Stuhl vor dieser Walze, ein mechanisches Surren erfüllte den Raum, und ich stand in der Tür und sah, wie meine Mutter oder unsere Putzfrau Handtücher, Tischtücher und Bettlaken in die Mangel hineinspannte. Neben der Maschine ein Korb, aus dem nahmen sie die Tücher oder Laken, dann spannten sie sie ein und legten sie anschließend zusammen, und nach jedem Zusammenlegen wurde noch einmal das ganze Wäschestück durchgemangelt. Anschließend hatten die zusammengelegten Laken und Tücher eine perfekte Form, waren völlig zusammengepreßt, nun tauglich dafür, oben in den Schränken verstaut zu werden, und würden die Spuren dieses Preßvorgangs noch deutlich zeigen, wenn sie später auf dem Eßzimmertisch lagen, an den Wandhaken hingen oder aufs Bett gezogen waren. So hatte es meine Mutter auf der Haushaltungsschule gelernt, und so sollte es auch Frau Eiler machen. Ich aber dachte immer bloß daran, wie es wäre, wenn meine Hand und mein Arm oder der meiner Mutter oder von Frau Eiler dort in die Walze hineingeriete. Manchmal stand ich vor dieser Maschine, wenn keiner an ihr saß und sie ausgeschaltet war. Dann war es, als sei der ganze Raum eigens um diese Maschine herum gebaut und nur wegen ihr da, der Mangel der Mutter. Alle zwei, drei Tage stieg meine Mutter in den Keller hinab, um zu mangeln. Man benutzte ein riesiges Fußpedal, um das heiße Metall an die Walze zu pressen, während das Tuch sich um die Rolle wand, und währenddessen leuchtete der Einschaltknopf rot in den leeren Raum hinein. Stundenlang konnte sie dort unten bleiben. War ich allein in dem Raum, fiel mir vor allem die Stille auf, die mich wie immer am meisten berührte und mich in einen ganz eigenen Zustand versetzte, so daß ich lange in diesem Raum bleiben konnte, ohne mich auch nur im geringsten mit etwas anderem beschäftigen zu müssen als mit der Stille des Raums und seiner eigenartigen Einrichtung. Hin und wieder setzte ich mich aber doch an die Maschine, drückte auf den roten Knopf, der daraufhin zu leuchten begann, und sah die Maschine walzen. Oder ich drückte, im nicht angeschalteten Zustand (die Walze bewegte sich dann nicht, und die Metallschale wurde nicht heiß), das Fußpedal,schob meine Hand zwischen Metall und Walze und ließ vorsichtig das kalte Metall meine Hand gegen die Walze pressen, um zu ermessen, wie groß der Druck eigentlich sei. Ich habe das Pedal aber nie ganz losgelassen.
Ein paar Meter weiter fand sich ein noch seltsamerer Kellerraum. Man öffnete eine schwere, graue Metalltür und stand vor einer etwa einen Meter hohen Mauer, die unmittelbar hinter der Metalltür hochgezogen war. Fast der ganze Raum war ausgefüllt durch den riesigen Metalltank für das Heizöl. Dieser Tank war ebenfalls grau, reichte fast bis zur Decke und ließ nach allen Seiten zur Wand nur etwa einen halben Meter Platz. Ich habe nie jemanden diesen Raum betreten sehen, weder meinen Vater noch einen Monteur. Manchmal kletterte ich jedoch selbst über die Mauer. Die Dämpfe betäubten mich fast. Auf dem Tank sah man irgendwelche Instrumente emporragen, Ventile, verschiedene Meßanzeiger. Über allem lag der schwere Geruch des Öls, der von den anderen
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