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Das Haus

Das Haus

Titel: Das Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Maier
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Etagen des Hauses komplett ferngehalten wurde.
    Im nächsten Raum stand die eigentliche Heizungsanlage. Der Brenner war für mich so etwas wie eine Großindustrieanlage. Manchmal sah ich meinen Onkel dort unten stehen und alles aufmerksam mustern. Der ganze Apparat machte Geräusche, die sich jederzeit so anhörten, als könne gleich etwas explodieren und das Haus (und damit mich) auslöschen. Keiner in der Familie wußte, wie diese Maschine arbeitete, es mußten immer Heizungsspezialisten erscheinen, wenn etwas nicht funktionierte. Es fiel sowieso auf, daß bei allen Dingen, die wichtig waren, Spezialisten kommen mußten, sei es beim Kühlschrank, bei der Waschmaschine, bei der Spülmaschine oder bei der Heizungsanlage. Kaum fiel etwas davon aus, herrschte im Haus hektische Betriebsamkeit, es wurde telefoniert, dann wartete man auf den Spezialisten, und bis dahin ruhte alles und konnte nicht weitergehen. Für mich war die Heizungsanlage, versteckt dort unten im Keller im hintersten, entferntesten Raum, der immer abgeschlossen werden mußte, das bestgehütete Geheimnis des Hauses und zugleich dessen eigentlicher beherrschender Geist, wie es bei der Urgroßmutter der Ofen und der Herd in der Küche gewesen waren. Dort unten zu sein war, wie wenn man bei einer Theateraufführung nicht im Zuschauerraum sitzt, sondern den Arbeiten auf dem Schnürboden zuschaut. Die Aufführung wird durch den Schnürboden erst möglich, der Boden selbst soll aber unbedingt unsichtbar bleiben, um eine Illusion zu erschaffen, die Illusion einer geradezu vollkommenen Natürlichkeit, hinter der die Technik verschwindet. Eine Theaterillusion. Es waren die eigentlichen postscaenica unseres Lebens im Mühlweg, um einWort von Lukrez zu verwenden. Aus dem Keller kam die Wäsche, aus dem Keller kam das tiefgefrorene Essen, aus dem Keller kam die Wärme, und aus dem Keller kam das heiße Wasser. Eigentlich diente, bis auf den Arbeits- und Bastelraum meines Bruders und den Hobbyraum, der ganze untere Bereich, fast ein ganzes Drittel des Hauses, der Versorgung der beiden anderen Etagen, wie das Servicemodul der Apollo-Raumkapsel, die mein Bruder baute, wie, um in seiner Sprache zu bleiben, die Jeffreysröhren des Raumschiffs Enterprise, oder wie die Stadtwerke großer Städte, die, ausgelagert, für sich genommen selbst eine Stadt bilden, aber aus dem Blickfeld genommen sind, während man in der Metropole in angenehmer Wärme beim Weißbier oder beim Beaujolais im Wirtshaus sitzt, wenn es draußen kalt ist, oder unter elektrischen Heizlampen im Freien rauchend den Glocken des Stephansdoms zuhört am Jahresende.
    Auch oben in den Räumen gab es Dinge, die nicht sichtbar waren. Was man sah, waren die schweineschnauzenartigen Steckdosenlöcher in der Wand, in die wir allerlei Sachen hineinsteckten, um sie damit zum Leben zu erwecken, sei es die elektrische Kaffeemühle, sei es die Fönhaube, unter die sich meine Mutter eineinhalb Stunden setzte, mit Lockenwicklern im Haar und der Wetterauer Zeitung oder der Fernsehzeitschrift in der Hand. Allen schien das völlig natürlich, wie gesagt immer nur so lange, bis ein Spezialist kommen mußte. Die Heizkörper waren durch ein unsichtbares, weitläufiges Röhrensystem (alles immer hinter der Wand) mit den Anlagen im Keller verbunden. Der Heizkessel und der Brenner überragten mich um das Doppelte, man sah Schalter, Lampen, Anzeigen, was dahinter geschah, sah man der Anlage nicht an. Es waren auch keinerlei handwerkliche Arbeiten (wie bei meiner Großmutter, die früher die Kohlen aus dem Keller geholt hatte) nötig, um das Haus zu versorgen, alles geschah mittels dieser versteckten Leitungen, auch das Öl wurde vollautomatisch durch eine Leitung aus dem verbotenen Raum mit der Wand in den Kesselraum gepumpt. Die Lämpchen leuchteten bunt in die ölgeschwängerte Atmosphäre hinein, die Luft war noch stärker von Geruch erfüllt als der Bastelraum meines Bruders mit seinen Modellbaufarben. An den Fenstern waren wieder Gitter angebracht, man blickte durch Lichtschächte empor. Übrigens diente der Raum auch als Abstellraum, im Herbst wurden die Gartenmöbel, die Terrassenmöbel, die Balkonmöbel und die Hollywoodschaukel in ihn hineingeräumt. Wenn der Monteur von der Fachfirma kam und in den Keller hinabstieg, immer im Blaumann, dann hatte er für meine Mutter und meinen Vater eine ganz besondere Autorität, wie ansonsten vielleicht nur noch der Arzt. Nicht einmal der Pfarrerin der Kirche hatte noch eine solche

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