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Das Haus

Das Haus

Titel: Das Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Maier
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Geige, die heute in meinem Besitz ist, nachdem sie das Instrument am zweiten Tag fast zerstört hätte, woraufhin es zwei Jahrzehnte lang in einem Schrank vergessen wurde, was ihm nicht gutgetan hat, aber immerhin hat es überlebt.
    Zu ihren Freundinnen hielt sie stets intensiven Kontakt, sie war oft außer Haus oder umgab sich im Haus im Mühlweg mit Gruppen von Mädchen, die in Heerscharen an mir vorbeizogen, während ich stumm dastand und ihnen zuschaute wie einer Erscheinung, als begegnete mir der Zug des Moses durch die Wüste mit der Feuersäule davor. Gern führte die Schwester diese Schar zum Kühlschrank und überhaupt in die Küche, dann wurden alle bewirtet, und anschließend blieb alles stehen und liegen, und der Zug zog weiter ins Wohnzimmer, um dort das Lager aufzuschlagen und den Fernseher einzuschalten oder kistenweise Spielzeug auszuschütten, das danach ebenfalls überall liegenblieb. Kam am Wochenende der Vater ins Wohnzimmer und fragte, wer das anschließend wegräume, blieb sie still, schaute ihn an und stieß dann mit beiden Händen eine große Kiste Spielzeug um, worauf alles polternd zu Boden fiel und der Vater das Zimmer wieder verließ. Vermutlich hatte er nur die Tagesschau sehen wollen. Später zog der Zug in die inzwischen wieder hergerichtete Küche zurück, um sie abermals zu verwüsten, und irgendwann war das Haus wieder leer, und ich blieb von alldem benommen zurück.
    Am Wochenende (die Woche über war meine Schwester im Kindergarten bzw. später in der Schule) hatte ich immer Angst vor dieser Schar. Ich versteckte mich bereits im voraus, stand mit Herzklopfen da und horchte, ob erste Geräusche die Ankunft der Schar ankündigten. Nichts auf der Welt konnte verhindern, was dann passierte. Plötzlich ging die Tür auf, und das ganze Haus verwandelte sich in einen einzigen Tumult, sie rannten die Treppen hoch und runter, liefen in alle Zimmer hinein, rissen die Schränke auf, stießen Türen auf und zu, und manchmal suchten sie mich und wollten mich besichtigen oder irgend etwas mit mir machen. Die Mädchen schrien und tobten den ganzen Vormittag herum, und es gab eigentlich keinen Platz in diesem Haus, an den man hätte flüchten können. Die Schar hatte inzwischen auch die Wohnung der Urgroßmutter für sich entdeckt, insofern war auch diese Rückzugsmöglichkeit verschlossen. Wenn mein Bruder oder ich bei der Urgroßmutter waren, kam die Schwester unweigerlich auf den Gedanken, ihn oder mich mit ihrer Schar dort zu »besuchen«. Also rannten sie den Mühlweg entlang und unter der Eisenbahnbrücke hindurch den Berg aufwärts und zum Schluß noch die Treppen im Haus meiner Urgroßmutter empor, nachdem sie dort Sturm geklingelt hatten, um in Truppenstärke einzufallen.
    Später (ich war noch nicht eingeschult) kam dieZeit, als für meine Schwester der Hobbyraum im Keller zu einer Art Partyraum umfunktioniert wurde. Tische wurden hereingeräumt und an die Wände gestellt, irgendeine Lichtanlage wurde herbeigeschafft, ebenso eine Musikanlage. Es begann jedesmal mit einem Großaufwand in der Küche, dort mußte meine Mutter massenweise Nudel- oder sonstige Salate herstellen oder Beefsteaks für Hamburger braten, die man damals noch selbst machte, der Vater beschaffte Limonade und Karamalz aus Frankfurt, das war Henninger-Haustrunk, und dann wurden dort unten Geburtstagsfeiern oder andere Feste gefeiert. Es erschien immer der gesamte Zug meiner Schwester. Natürlich hielten sie sich nicht nur im Kellerraum auf (in dem sie dann auch übernachten wollten, um noch am nächsten Morgen und vielleicht noch den ganzen weiteren Tag im Haus zu sein), sondern besetzten quasi das ganze Haus und auch den Garten. Immerfort klingelte es, und meine Schwester rannte zur Haustür und öffnete dem nächsten Gast, der von seiner Mutter oder seinem Vater abgeliefert wurde. Wenn ich in mein Zimmer geflohen war, rannten sie vor meiner Zimmertür auf und ab, manchmal riefen sie auch nach mir, oder ich hörte Sätze wie: Ist da dein komischer Bruder drin? Mitunter klopften sie dann gegen meine Tür und rannten weg, so, wie andere Schellenkloppen spielen. Manchmal mußte der Party so etwas wieein Picknick im Freien vorangehen, dann wurden Decken ausgebreitet, und die Mutter schleppte eine Unzahl von Nudelsalatschüsseln in den Garten, wo die Kinder ein einziges Schlachtfeld hinterließen. Manchmal mußte gezeltet werden, das fand dann ebenfalls bei uns im Garten statt, und aus den Zelten liefen sie alle paar

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