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Das Haus

Das Haus

Titel: Das Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Maier
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Autorität. War der Arbeiter da, kam auch mein Onkel oft dazu und stand dabei, und wenn der Arbeiter ihm erklärte, was er an der Maschine machte, nahm mein Onkel die Worte des Arbeiters begierig auf, verstand aber überhaupt nichts. Und der seltsamste Augenblick im ganzen Jahr war, wenn draußen auf der Straße der Tanklastzug angefahren kam, große Schläuche durch den Garten geschleppt wurden, vorher unsichtbare Stutzen geöffnet wurden, alles miteinander verbunden wurde und dann das Haus sein Öl bekam und danach roch. Diese Stunde war immer wie ein Ausnahmezustand, sie hatte etwas geradezu Feierliches, das Haus war nun nicht mehr allein, sondern angeschlossen wie an eine Infusion, derer es von Zeit zu Zeit bedurfte. Anschließend war es, als habe sich das Haus erholt und neue Kraft geschöpft für eine weitere Zeit, bis wieder der Tanklastzug kommen würde, von dem es abhängig war seit seinem ersten Lebenstag.

 
    D ie Jubeljahre im Kinderzimmer meines Bruders geschahen so vorhersehbar wie die im alten Testament, nur fanden sie wesentlich häufiger statt. Wie im biblischen Israel einmal alle fünfzig Jahre die Verträge ausliefen und sämtliche Schulden getilgt wurden, damit alles neu beginnen konnte, so begann auch das Zimmer meines Bruders jedesmal neu, denn alles war zerstört. Es passierte meistens, wenn er nicht zu Hause war. Es konnte zum Beispiel dann geschehen, wenn die Mutter sich zum Mittagsschlaf hingelegt und die Rolläden heruntergelassen hatte, eingeschlafen war, nichts bemerken konnte und für niemanden zu erreichen war, denn sie hatte die Tür abgeschlossen, um nicht gestört zu werden. Die Posaunen von Jericho, die zum Jubeljahr bliesen, konnten nicht zu ihr durchdringen. Es war jedesmal ein Fest der Zerstörung. Manchmal sah ich selbst, wie die Schwester wartete, bis mein Bruder verschwunden und die Mutter beim Mittagsschlaf war, und wie sie dann ins Zimmer meines Bruders ging und bald leise krachende Geräusche zu hören waren. War die Mutter außer Haus, bliesen die Posaunen lauter zum Fest, und die Dinge verendetenmit lautem Krachen an der Wand, oder meine Schwester trat auf sie drauf, so daß sie laut zerbarsten, und auf die zerborstenen Teile noch einmal, damit diese in wiederum noch kleinere Teile zerbrachen, bis am Ende alles regelrecht zermahlen war, so daß kein Mensch auf der Welt mehr hätte Heil und Ordnung in die Dinge bringen können. Alles war Müll und Schrott. Manchmal schaute ich durch die halboffene Tür, hinter der es wütete. Dann sah ich die Schwester, wie sie auf einen Stuhl stieg, um nach den kunstvoll zu szenischen Mobiles verknüpften Flugzeug- oder Hubschraubermodellen zu haschen, die von der Decke hingen. Bald hatte sie eines der Modelle erwischt, riß es (und damit das ganze Mobile) von der Decke herunter und begann es anschließend zu zerstören, Teil für Teil und immer mit einer gewissen Sorgfalt. Sie lächelte dabei nicht, sondern arbeitete einfach vor sich hin. Sie konnte auch zum Buchregal übergehen und beginnen, einzelne Seiten aus Büchern herauszureißen, um sie mit ihren Kinderhänden zu zerfetzen. Erst wenn sie mich im Türspalt entdeckte, lächelte sie, dann nahm sie ein besonders großes, besonders kunstvoll und kompliziert gebautes Teil in die Hand, vielleicht das Modell eines großen Segelschiffs mit Takelage, in das mein Bruder wochenlange Arbeit gesteckt hatte, warf es zu Boden, während sie mich anschaute, und trat darauf ein, ohne den Blick von mir zu wenden. Dannhörte man unten den Schlüssel in der Tür oder wie das Garagentor geöffnet wurde, und meine Schwester stellte ihre Tätigkeit ein und schlich sich unauffällig aus dem Zimmer hinaus, wobei sie mir wie im Vertrauen zunickte, sich in ihr Zimmer begab oder nach unten lief, ein Jäckchen überstreifte und hinüber zur Nachbarstochter rannte, um mit dieser und anderen Freundinnen gemeinsam Barbie zu spielen.
    Es konnte aber auch ganz anders vonstatten gehen. Manchmal, wenn mich die Schwester erblickte, während ich stumm ihrem Vernichtungskampf zuschaute, nahm sie irgendeinen Gegenstand in die Hand und begann damit auf mich einzudreschen. Ich erinnere mich, wie ich heulend Meter für Meter der Schlafzimmertür der Mutter näher kam, die Schwester an meinem Hals, die letzten Meter kriechend, denn sie saß auf meinem Rücken, und wie ich vor der verschlossenen Tür hinsank und gegen die Tür trommelte, während sie mir den Hals blutig kratzte.
    Dann kam mein Bruder nach Hause, hängte

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