Das Hausbuch der Legenden
werdet, werdet ihr in Ewigkeit nicht verderben!«
Martin kleidet die Nackten
MARTIN WURDE im Jahr 316 in Sarbata, dem heutigen
Steinamanger in Ungarn, geboren. Sein Vater war Hauptmann im römischen Heer. In Pavia fand Martin den Anschluß an die Christengemeinde. Mit zwölf Jahren wollte er sich ganz dem Dienste Gottes widmen. Die heidnischen Eltern und die Gesetze ließen dies aber nicht zu. Als Sohn eines römischen Offiziers mußte er im Heer dienen und an die Stelle seines Vaters treten. So kam es, daß er mit fünfzehn Jahren Offizier wurde, statt als Einsiedler in die Wüste zu gehen. Aber er hielt sich nur einen Knecht, mit dem er wider jeden Brauch die Mahlzeiten teilte, dem er die Schuhe auszog und putzte. Dazu verschenkte er alles, was er hatte, an die Armen. Als er im tiefen kalten Winter vor die Tore von Amiens kam, hatte er nichts mehr als seine Waffen und seine Ausrüstung. Da stand ein Bettler fast nackt im Tor und zitterte vor Kälte. Martin teilte seinen großen Umhang mit dem Schwert in zwei Teile und ritt zum Gespött seiner Kameraden im halben Mantel weiter. Die Nacht darauf erschien ihm im Traum Christus, umgeben von seinen Engeln. Er trug den halben Mantel des Hauptmanns und sagte: »Martin, der noch nicht getauft ist, hat mir dieses Kleid geschenkt.« Damals war Martin achtzehn Jahre alt. Bald darauf ließ er sich taufen. Er hielt es mit seinem Christenstande nicht mehr vereinbar, zu töten. Trotzdem blieb er noch zwei Jahre beim Heer, weil sein Tribun ihm
versprochen hatte, mit ihm der Welt zu entsagen, sobald seine Dienstzeit abgelaufen sei. Da standen die Germanen gegen die römische Besatzung auf. Am Vorabend der ersten Schlacht verteilte der Sohn des Kaisers, der Feldherr Julian, Auszeichnungen an die Legionäre. Martin benutzte die Gelegenheit, um seinen Abschied zu bitten. Der Kriegsherr aber sagte erbost: »Deine Scheu vor der Schlacht ist wohl mehr eine Folge deiner Feigheit als deiner Frömmigkeit.« Das wollte Martin sich nicht nachsagen lassen. Er schlug vor, ihn an der Spitze des Heeres, ohne alle Waffen, gegen den Feind ziehen zu lassen. Er werde nur mit dem Zeichen des Heiligen Kreuzes den Widerstand brechen. Julian war geneigt, diesen Vorschlag anzunehmen, doch stellte sich der Feind nicht zur Schlacht, sondern bot unerwartet Frieden an. Viele meinten, daß Julian dies nur Martin zu verdanken habe.
Martin schied nun aus dem Heer aus und ging zu dem
frommen Bischof Hilarius nach Poitiers, der ihn zum Diakon weihen wollte. Martin lehnte aber in seiner Bescheidenheit die Erhebung in den Stand der Kleriker ab. Er wollte nur niedere Dienste tun. Daraufhin wurde er zum Akoluthen (Altardiener) geweiht. Wieder erschien ihm der Herr im Schlaf und
ermahnte ihn, zu seinen Eltern zu ziehen und sie zum rechten Glauben zu bekehren. Der Bischof entließ ihn nur ungern. Der Zug über die Alpen brachte viele Gefahren. Räuber überfielen den armen Mann. Einer wollte ihm schon den Schädel spalten, da fiel ihm ein anderer in den Arm. Aber sie banden ihm die Hände auf den Rücken und ließen ihn scharf bewachen. Martin nutzte die Zeit und predigte seinem Wächter das Evangelium mit solcher Inbrunst, daß der Räuber sich bekehrte und sich taufen ließ. Er wies Martin den rechten Weg über das Gebirge und gab die Räuberei auf.
In Pavia fand Martin nach langen Jahren seine Eltern wieder.
Er konnte die Mutter bekehren, der Vater aber beharrte in seinem Irrglauben. Dafür zog Martin manchen anderen auf seine Seite. Damals hatten die Arianer in ganz Italien, ja, im ganzen Erdkreis großen Zulauf. Martin trat männlich gegen die Ketzer auf. Da ergriffen ihn die Gotteslästerer, stäupten ihn und warfen ihn zur Stadt hinaus. In Mailand erging es ihm nicht anders. Er floh mit einem Presbyter auf die Insel Gallinaria (die Hühnerinsel) vor der toskanischen Küste. Dort mußten sie von wilden Kräutern leben. Martin aß eines Tages auch die giftige Nieswurz und wurde todkrank davon. Er überwand aber Schmerzen und Tod allein durch die Kraft seines Gebetes. Als Martin hörte, daß der inzwischen verbannte Bischof Hilarius zurückkehren durfte, zog auch er wieder nach Gallien und gründete bei Poitiers ein Kloster.
Eines Tages fand er bei der Rückkehr von einem Gang über die Felder einen seiner Schüler tot, der noch nicht getauft war.
Martin ließ den Leichnam in seine Zelle bringen, warf sich über den leblosen Körper, betete innig und rief so den Toten wieder ins Leben zurück, daß er
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