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Das Hausbuch der Legenden

Das Hausbuch der Legenden

Titel: Das Hausbuch der Legenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Adolf Narciss
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wieder gegen den Apostel aufhetzen. Sie hatten seine Guttaten vergessen, legten ihn wieder in Fesseln und reichten ihm nur Wasser und Brot. Dann segelten sie weiter. Krankheiten unter der Mannschaft und widrige Winde hielten das Schiff viele Wochen auf. Da mußte Johannes den Männern wieder helfen. Als kein Trinkwasser mehr an Bord war, verwandelte er Meerwasser in süßes Wasser und rettete damit alle vor dem Tod des Verdurstens.
    Wieder lösten sie seine Fesseln, baten ihn um Verzeihung und boten ihm die Freiheit an. Der Apostel lehnte das Anerbieten jedoch ab und forderte sie auf, ihren Auftrag ordentlich zu erfüllen. Er predigte auf dem Schiff und konnte noch viele taufen, ehe er an Land ging. Die Insel Patmos war damals ein steiniges, unfruchtbares Eiland. Es gab kein Gras und keine Blumen, dafür aber schwere Stürme und Ungewitter. Aber die Natur der Insel änderte sich völlig, nachdem der Apostel sie betreten hatte. Stürme und Ungewitter wurden immer seltener, es grünte überall, die Insel wurde fruchtbar. Gott der Herr wollte, daß sein Apostel durch kein äußeres Ungemach gestört würde, sollte er doch das Buch der Offenbarung
    niederschreiben. Johannes bekehrte alle, die auf der Insel wohnten.
    Es verging kein Jahr, da wurde der Kaiser Domitian
    erschlagen, und der römische Senat widerrief alle seine Befehle und Entscheidungen. Auf diese Weise erhielt auch Johannes seine Freiheit wieder. Er kehrte nach Ephesus zurück. Das Volk zog ihm jubelnd entgegen und holte ihn feierlich in die Stadt, in der er noch viele Jahre predigte, gegen die Heiden kämpfte und viele bekehrte. Als er schon sehr alt war, schenkte ihm einer ein lebendiges Rebhuhn. Dem
    Apostel, der damals kaum mehr gehen konnte, machte das zahme Tier große Freude. Zuweilen sah man, wie er es fütterte, es streichelte und mit ihm spielte. Ein junger Mann nahm daran Anstoß. Er sagte: »Seht doch, wie der Alte sich kindisch gebärdet!« Johannes spürte diese feindliche Gesinnung und rief den Jüngling zu sich. Der junge Mann fragte ihn, ob er wirklich Johannes sei, den alle heilig nannten. Es könne doch nicht sein, daß er sich mit solchen Kinderspielen abgebe. Statt zu antworten, fragte der Apostel seinen Gegner, was er in der Hand habe. »Einen Bogen.«
    »Wozu brauchst du diesen Bogen?«
    »Ich schieße mit ihm nach den Vögeln und auch nach
    anderen Tieren.«
    »Zeige mir doch bitte, wie du das machst!« Da spannte der Jüngling den Bogen. Als Johannes nicht weiter darauf achtete, ließ er die Sehne wieder locker hängen. Der Apostel fragte ihn, warum er das mache. Der junge Mann antwortete: »Es ist nicht gut, den Bogen lange gespannt zu lassen. Er wird dadurch schlaff und verliert die Spannkraft.« Johannes erwiderte darauf: »Nun, aus dem gleichen Grund ist es nicht gut, das Gemüt in dauernder Spannung zu halten. Es erschlafft, wenn er überanstrengt wird, und verliert eines Tages die Fähigkeit, sich zu himmlischen Dingen zu erheben. Der Adler steigt höher als alle anderen Vögel, er fliegt geradewegs zur Sonne empor, aber auch er muß am Ende wieder die Erde aufsuchen, auch er sucht einen Baum, um sich auszuruhen. Auch der Mensch kann sich nicht unaufhörlich mit hohen Dingen beschäftigen.
    Er bedarf vielleicht noch mehr als andere Lebewesen der unschuldigen Erholung.« Johannes wurde neunundneunzig Jahre alt, bis ihn der Herr zu sich nahm.

    Die gehorsamen Wanzen

    AUF DER REISE nach Ephesus kehrte der Apostel Johannes mit seinen Begleitern in einer einsamen Herberge ein, in der sie für Johannes nur eine alte, gebrechliche Bettstatt fanden. Die Brüder legten Decken und Laken, die sie mitgebracht hatten, auf die nicht sehr saubere Unterlage und baten den Apostel sich auszustrecken und zu ruhen. Die anderen schliefen alle auf dem Fußboden. Kaum hatte sich Johannes hingelegt, da wurde er von Wanzen überfallen. Als die Tiere immer lästiger wurden und die Nacht halb vorbei war, sagte er plötzlich so laut, daß alle es hören konnten: »Ich sage euch, ihr Wanzen, nun seid folgsam, verlaßt für diese Nacht eure gewohnte Wohnstätte und sammelt euch alle ruhig an einem Platz, an dem ihr die Knechte Gottes nicht belästigt!« Als die Brüder das hörten, lachten sie.
    Johannes aber drehte sich um und schlief alsbald ein. Alle, die mit ihm zusammen waren, wurden in dieser Nacht von keiner Wanze geplagt.
    Als der Tag schon heraufdämmerte, sahen die Frühaufsteher auf der Tür des Zimmers einen großen Haufen Wanzen, der sich

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