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Das Hausbuch der Legenden

Das Hausbuch der Legenden

Titel: Das Hausbuch der Legenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Adolf Narciss
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völlig ruhig verhielt. Sie weckten die anderen Brüder und beobachteten die Wanzen, die sich nicht bewegten. Johannes schlief noch. Sobald er erwacht war, teilten sie ihm ihre Beobachtungen mit. Er betrachtete die merkwürdige
    Versammlung auf der Tür und sagte zu den Wanzen:
    »Nachdem ihr euch so ruhig und brav verhalten habt, kommt jetzt wieder an euren gewohnten Platz!« Mit diesen Worten stand er auf. Die Wanzen aber wuselten in aller Eile von der Tür zur Bettstatt, liefen zwischen seinen Füßen durch, kletterten hoch und waren im Nu in den Ritzen der Bettstatt verschwunden. Da sagte Johannes: »Diese Tiere haben nur die Stimme eines Menschen gehört; sie haben die gegebenen Gebote befolgt und sich ruhig verhalten. Wir aber hören die Stimme Gottes und überhören trotzdem seine Gebote und werden sorglos. Wie lange noch?«

    Heiligenlegenden

    Barlaam und Joasaph

    ALS DAS Christentum im fernen Indien schon weit verbreitet war, lebte dort ein mächtiger König, der ein Feind der Christen war, vor allem aber ein Feind der Mönche. Seine Verfolgungen fachten die erlöschende Liebe zum Christentum wieder an, schreckten die Sicheren auf und ermunterten die Trägen. Alle fasteten, beteten und wachten, um bereit zu sein, wenn der Herr sie als Zeugen aufriefe. Viele, die fürchteten, einer schweren Prüfung nicht gewachsen zu sein, entsagten der Welt, verteilten ihren Besitz an die Armen und retteten sich in die Wüste. Unter ihnen war auch einer der ersten Männer des Hofes, der Freund und Vertraute des Königs: Barlaam. Der König ließ ihn überall in der Wüste suchen. Man griff ihn auf und brachte ihn vor das Angesicht des Herrschers. Der König erlaubte dem Einsiedler ein freies Wort. Barlaam versuchte, ihn durch eine lange Predigt für das Christentum zu gewinnen.
    Der König entließ ihn im Zorn in seine Klause.
    Um dieselbe Zeit wurde dem König der erste und einzige Sohn geboren, Joasaph. Fünfundfünfzig Weise und
    Sternkundige mußten ihm das Horoskop stellen. Alle fanden, daß er ein mächtiger und glücklicher König sein werde. Der Weiseste der Weisen aber sagte: »Dein Sohn wird auf eine andere Weise groß sein als du, mein König! Sein Reich wird nie vergehen; denn er wird ein geistiges Reich beherrschen.
    Wenn nicht alles trügt, wird dein Sohn Christ werden. Er wird den Glauben festigen und verbreiten, den du mit deinen Ratgebern unterdrückst.« Diese Prophezeiung bewegte den König sehr. Er fürchtete Mißerfolg und Schande für seine Regierung. Darum ließ er in einem entlegenen Teil der Stadt einen prächtigen Palast bauen, der wie eine Festung von Wall und Graben umgeben war. In diesem von aller Welt
    abgeschlossenen Palast ließ er seinen einzigen Sohn erziehen.
    Er gab ihm schöne Knaben und Jünglinge als Gespielen und Gesellschafter und verbot, in Gegenwart seines Sohnes vom Tod, von Krankheiten, vom Altern oder von der Armut zu sprechen; denn er hatte beobachtet, daß die Furcht vor diesen Ereignissen die Menschen dazu brachte, Christen zu werden.
    Erkrankte einer der Gespielen, wurde sofort ein anderer gesunder Jüngling berufen. Über Christus und das Christentum durfte niemand mit dem Prinzen sprechen. Ausgesuchte Lehrer unterrichteten ihn in allen Künsten und Wissenschaften. Er wurde in jeder Weise und mit aller Sorgfalt auf sein königliches Amt vorbereitet. Als der Prinz in die Jahre kam, in denen man sich eigene Gedanken macht, fragte er seinen Vater, warum er ihn wie in einen goldenen Käfig einschließe.
    Der König zeigte sich einsichtig. Er ließ ihm aber nur begrenzte Freiheit. Wenn der Prinz in seinem prächtigen Wagen ausfuhr, ritten Diener voraus und räumten alles aus dem Weg, was ihn auf trübe Gedanken bringen konnte.
    Trotzdem kamen ihm eines Tages zwei gebrechliche
    Menschen in den Weg, ein Aussätziger und ein Blinder.
    Erstaunt fragte der Prinz, wie diese Menschen zu ihren Gebrechen gekommen seien, ob alle Menschen damit rechnen müßten, und ob man im voraus bestimmen könne, wer
    erkranke. Als man ihm antwortete, daß niemand sein Schicksal vorauswisse, beschäftigte ihn zum ersten Mal der Gedanke an die Zukunft, und er wurde nachdenklich. Ein andermal begegnete er einem Greis, der nur mühsam, tief gebückt gehen konnte und dessen Rede kaum zu verstehen war, weil ihm alle Zähne ausgefallen waren. Joasaph hörte zum ersten Mal, daß das Alter über alle Menschen komme, und daß das Ende des Alters der Tod sei, der keinen verschone. Aber niemand beantwortete ihm

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