Das Heerlager der Heiligen
Durfort ist dafür ein Beispiel. Er hielt mit seinem Auto am Straßenrand etwas abseits von Gex. Die Erregung, die ihn beim Hören des Funks gepackt hatte, hinderte ihn, über die vereisten Kurven auf den Paß von La Faucille zu fahren. Er hatte diesen schwierigen Weg gewählt, weil er dachte, daß es auf der Goldstraße besser sei, wenig befahrene Umwege zu machen. Das Mädchen an seiner Seite von der Insel Martinique, das von der Reise müde war, fragte ihn zum x-tenmal, ob sie bald in der Schweiz seien. Sie hatte nach einer Dusche Verlangen und wollte sich mit ihrem lieben Albert zärtlich ins Bett legen. Durfort antwortete: »Laß‘ mich bitte in Ruhe!«
Der Aufenthalt auf dieser Straße bekam ihm schlecht. Durfort wurde von einer der vielen, in der Nacht herumstreunenden Horden ausgeplündert. Seinen erdolchten Körper hatte man in den Straßengraben geworfen und die hübsche Negerin mit den sorgfältig geglätteten Haaren war die sexuelle Beute der Männer geworden, die aus der menschlichen Gesellschaft ausgetreten waren.
Dem Leser wie dem Schreiber dieses Dramas fällt bei diesem Schicksal ein kurz gefaßtes Manichäertum auf. Kurz gefaßt? Nicht ganz. Wenn man genau hinsieht, bemerkt man hier die doppelte Wirkung dieses Manichäertums. Die Guten stehen Bösen gegenüber, die sich ihrerseits gegen die Guten auflehnen, die zu Bösen geworden sind.
Mit diesen Überlegungen wollen wir jetzt den Scheinwerfer auf zwei andere Personen richten, auf Elise, eine arabisierte Französin und auf Pierre Senconac. Dieser befindet sich nachdenklich im Studio von Radio-Ost. Sobald der Präsident seine Rede beendet haben wird, muß er einen Kommentar dazu geben. Er weiß, daß auch er Härte bekunden muß, hat aber noch keinen Anhaltspunkt, auf den er sich stützen kann, den er aber vom Präsidenten erwartet. Wie sich zwanzig Minuten später herausstellt, ist die Armee nur noch eine lächerliche Nachtwache. Denn als Elise in der Küche des einäugigen Kadi die harte Stimme von Senconac hört, weiß sie, daß die Zeit der Rücksichtnahme vorbei ist und ein reinigendes Blutbad die letzten Spuren auslöschen muß. Sie steckte das Rasiermesser des Kadi in den Strumpf an ihrem rechten Bein, stieg sofort in ihr Auto und eilte in das praktisch leere Studio von Radio-Ost. Senconac konnte nicht mehr sprechen. Mitten im Satz wurde ihm die Kehle durchschnitten. Die wenigen Techniker, die noch auf ihrem Posten geblieben waren, flohen davon. Manichäertum mit doppelter Wirkung. Da aber diese Art Abrechnung nur eine kleine Zahl Individuen betraf, so folgte daraus, daß, wie man hier das edle Manichäertum auch betrachten mag, die Geschichte der weißen Welt nur noch eine solche von Hammeln war. Zweifellos ist dies die Erklärung.
Oberst Dragasès hatte inzwischen die Verbrennung der schwarzen Leichen auf den Scheiterhaufen am Strand eingestellt. Es war jetzt Zeit, sich mit den Lebenden auseinanderzusetzen. Er saß auf der Balustrade einer verlassenen Villa, die ein paar Meter Sicht auf das Meer gewährte, und betrachtete die in der Nacht gestrandeten Schiffe, die sich wie Silhouetten von dem dunklen Schauplatz abhoben. »Sie hören eine Rede des Herrn Präsidenten der Republik …«
Seit Einbruch der Nacht zählte der Oberst Stunde für Stunde seine Truppen längs der Front, die sich auf über zwanzig Kilometer erstreckte. Von Zeit zu Zeit riefen seine Offiziere von der Funkzentrale in der Villa das eine oder andere Bataillon an, ohne Antwort zu erhalten. Nach einem heißen Tag der Konfrontation mit dieser Million Unglücklicher und ihrem weichen Gesang glich sein Bataillon in der Dämmerung eher Gespenstern, die vorweg schon wegen eines Verbrechens verurteilt waren, das sie nicht begangen hatten und nun durch die Gärten und das Kieferngehölz schlichen, als ob sie fürchteten, auf dem Schauplatz ihrer Missetaten vom Tag überrascht zu werden. Kurz vor Mitternacht erschien beim Oberst der Staatssekretär Perret, der seine Präfektur, oder was davon noch übrig blieb, verlassen hatte. Auch Fregattenkapitän de Poudis war zugegen. Sie verfügten noch über ungefähr zehntausend Mann.
Hinter den Linien streifte die Bande des Panama Rangers umher, verstärkt durch bunt zusammengewürfelte Haufen, welche man auf den Straßen aufgelesen hatte. An verschiedenen Punkten des nicht erfaßbaren Schlachtfeldes am Rand des verlassenen Landes entspannen sich gedämpfte Wortkämpfe mit leisen Ansprachen, die selten ihr Ziel, den Aufruf zur
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