Das Heerlager der Heiligen
Stab in der Villa mit ganzer Wucht. Es war erst nach Mitternacht und schon haben die Berichte von den Truppen alles umgeworfen. Zwanzigtausend, vielleicht fünfundzwanzigtausend Typen bei Panama Ranger? Und in der französischen Armee …? Man rief ein Bataillon nach dem andern an. Höchstens sechstausend Mann waren noch da. Demgegenüber standen im Lager der Dritten Welt auf den Brücken der gestrandeten Schiffe fast eine Million Einwanderer und warteten den Tagesanbruch ab. Ein Scheinwerfer der Luftabwehr auf dem Dach der Villa strich in regelmäßigen Abständen über das Gelände, fast wie ein Biologe, der durch ein Mikroskop gelegentlich einen Blick auf eine Nährlösung wirft, um sicher zu sein, daß die Mikroben noch da sind. Was sind schon für diese Emigranten fünfundfünfzig Millionen Franzosen, die vom Zeitgeist vergiftet in einer merkwürdigen Haltung verharren, als ob ein Regisseur dahinter steckt, der einen Teil der Bühne samt Statisten in den Hintergrund drängt, um die Handlung hervorzuheben, die nunmehr beginnt.
»Wir verlieren stündlich tausend Mann!« sagte Fregattenkapitän de Poudis. »Und dies, ohne einen Schuß abzugeben!«
»Unsinn!« erwiderte der Oberst. »Ich sehe die Sache anders. Wenn ich bei dem gegenwärtigen Rhythmus der Einbußen genau rechne, so werden um 5 Uhr 27 noch vierhundertfünfzig Mann zur Verfügung stehen. Mehr als ich hoffe. Wenn Sie mir freie Hand geben, Herr Minister (er wandte sich zum Staatssekretär und beide schienen sich lustig zu machen, daß sie in diesem Augenblick noch Minister und Oberst spielten), so werde ich diese Scherze mit den Gummikugeln, Feuerlöschgeräten, Tränengashandgranaten, Bleinetzen und andern Utensilien der jungen Leute vom Quartier Latin zu Müll machen.«
»Sie haben in diesem Augenblick keine vierhundertfünfzig Mann mehr«, sagte der Staatssekretär, »sondern nur noch fünfzig, sofern sie Ihnen nicht in den Rücken schießen, um alles schneller zu beenden.«
»Nun gut, dann werde ich eben als fröhlicher Feldwebel sterben. Das ist gar nicht so schlecht. Eine Kugel in den Rücken und ohne Vergeltung … Alle Toten gleichen sich. Fangen wir jetzt an? Ich meine, sie haben genug gebrüllt. Bringen wir sie zum Schweigen?«
»Gute Idee, Herr Oberst«, meinte zustimmend der Fregattenkapitän. »Die Kerle liegen mir langsam in den Ohren. Ich mache freiwillig mit.«
»Aber, Herr Oberst, eigentlich ist der wirkliche Feind vor Ihnen auf den Schiffen und nicht diese Bande von Schreihälsen hinter Ihnen«, sagte der Staatssekretär.
»Ah, glauben Sie? Man sieht, daß Sie nie im Krieg waren. Der wahre Feind ist immer hinter den Linien, in Ihrem Rücken, nie vorne und nie dazwischen. Alle Soldaten wissen das, und wieviele von ihnen in allen Armeen und zu allen Zeiten haben schon vor der Frage gestanden, ob sie nicht den Feind vor ihnen fallen lassen sollen, um mit dem Feind hinter ihnen einmal gründlich abzurechnen! Etliche haben es so gemacht. Man hat sogar schon erlebt, daß zwei gegeneinander stehende Heere den einfältigen Kampf abgebrochen haben, um jeweils hinten aufzuräumen. Leider war ich zu dieser Zeit noch nicht geboren. Die Feinde, die sich als Frontkämpfer gegenüberstehen, sind selten die wahren.«
»Und wenn es keine Soldaten mehr gibt?«
»Je nun, dann gibt es keinen Krieg mehr, der diesen Namen verdient. Das wird übrigens schon heute morgen der Fall sein. Wenn mich mein letzter Husar verlassen hat, wird im ganzen Land Frieden herrschen. Welche Art Frieden? Das weiß ich nicht und möchte es auch nicht erleben. Mögen sie zusehen, wie sie mit ihrem Frieden aus dem Schlamm kommen. Sie haben genug nach ihm verlangt, allerdings ohne zu überlegen, was er bringen könnte. Meiner Meinung nach werden sie bestens bedient. Sind Sie immer noch Freiwilliger, Herr Kommandant?«
»Ja«, sagte der Seemann. »Bringen wir sie zum Schweigen?«
»Das wäre mir lieb«, sagte der Oberst, »denn auf diese Zukunft verzichte ich. Nehmen Sie meine Panzer und fahren Sie los. Die ganze Panzerarmee in den Händen eines Seemanns, ist das nicht komisch?«
Sicher, das schien ihnen spaßig zu sein. Der Fregattenkapitän lachte. Die Augen des Obersten leuchteten fröhlich auf. Beide hatten sich verstanden. Ein Soldat liebt den Krieg. Diejenigen unter ihnen, die das Gegenteil behaupten, lügen, oder sie ziehen den Ruhestand ohne Sold vor. Dann sind es eben verkappte Zivilisten, wie Postbeamte. Die beiden Männer, welche die Gangesflotte nicht für
Weitere Kostenlose Bücher