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Das Heerlager der Heiligen

Das Heerlager der Heiligen

Titel: Das Heerlager der Heiligen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Raspail
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Allein erwachten sie jetzt zu neuem Leben. Als die Lautsprecher an den Arbeitspl ä tzen nach der Ü bertragung der Rede des Pr ä sidenten der Republik verstummten, verloren die Gewerkschaften jede Kontrolle. Nun kamen die politischen Zellen zum Durchbruch. Selbst der blinde Kadi in Paris erkannte, da ß er seine Leute so wenig zur ü ckhalten konnte, wie seine Frau Elise, die mit dem im Strumpf versteckten Rasiermesser zum Studio des Radio-Ost rannte.
    Man muß ehrlich anerkennen, daß die in dieser Nacht begangenen Verbrechen in den meisten Fällen weder bösartig noch raffiniert noch unnötig grausam waren. Es kam alles einfach ganz von selbst. Man hätte eher befürchten können, daß die erste Welle eines ungeheuren Sturms anrollt. Es war indessen nur die letzte sichtbare Welle eines unterirdischen Bebens, und sie verrauschte in diesem schon aufgelösten Land sehr bald. Wenn es übrigens in der Folgezeit noch Gerichte nach westlichem Muster gegeben hätte, die nach der Art wie bisher Recht gesprochen hätten, so kann man sicher sein, daß jede dieser Straftaten mit Strafaufschub oder einer geringen Gefängnisstrafe bedacht worden wäre. Der erste Tatort war beispielsweise im Schlachtraum des Schlachthofs von Bicêtre. Drei Afrikaner, ein Betäuber, ein Lastträger und ein Schlächter schlachteten hier durchschnittlich hundertachtzig Schweine pro Stunde. Mit zwei oder drei gezielten Bewegungen, einhundertachtzigmal wiederholt. Eine schreckliche Arbeit, bei der man im Blut watete und die ein Normalarbeiter mied. Von diesen drei Männern hingen indessen mehrere hundert andere Arbeiter ab, Schlepper, Abbinder und Aufnehmer am Wurstfließband, Zubringer und Füller am Dosenfließband, ohne das Verwaltungspersonal, die Großhändler, den Einzelhandel, die leitenden Männer und die Aktionäre in diese Berechnung einzubeziehen. Wenn einer der drei unersetzbaren Schlächter das Bedürfnis hatte, mal auszutreten, verlangsamte sich die ganze Produktion. Deshalb war eine solche Panne grundsätzlich verboten und einige Francs wurden dafür täglich abgezogen, die man bei der Verwaltung spaßeshalber Blasengeld nannte.
    Als man nun in jener Nacht eine lange Zeit allgemeiner Verknappung kommen sah, bei der die Nahrungsmittelindustrie nur dann eine führende Rolle spielen und viel Geld gewinnen konnte, wenn sie große Vorratslager besaß, ordnete die Direktion des Schlachthofs eine Steigerung der Produktionsleistung an. Diese Anordnung wurde im Schlachtraum nach der Rede des Präsidenten der Republik vom zweiten Direktor persönlich bekannt gegeben, mit der zusätzlichen Bemerkung, daß das Blasengeld verdoppelt wird.
    »Aber gewiß, Herr Direktor«, versicherte einer der roten Neger. »Man kann so mindestens zweimal mehr machen!«
    Der weiße Mann litt nicht mehr als die Schweine am Fließband. Betäubt, angeschleppt und getötet wurde er zwischen zwei blutige Schweine aufgehängt, und sein Weg über die verschiedenen Arbeitsgänge der Fabrikation machte die Unterscheidung vom Schweinefleisch unmöglich. Der Vorgang erweckte zwar Neugier, aber keinerlei Widerwille unter den Schwarzen. Auf dem Markt im Kongo hatte man schon anderes gesehen. Einige weiße Arbeiter wurden ohnmächtig und flohen. Die Vorarbeiter nahmen Reißaus. Ihnen genügten schon die ausdruckslosen Blicke ihrer Sklaven. Die arbeitende Dritte Welt erfüllte gewissenhaft ihre Aufgabe bis zur Etikettierung der Büchsen, in denen der weiße Mann als Pastete geendet hatte. Vielleicht haben wir davon gegessen, denn in der Folgezeit schaute man nicht mehr so auf Qualität. Die Zeiten haben sich geändert …
    Ein Arbeiterpriester war auch zugegen. Er war Abbinder am Wurstereifließband. Beim Fertigen des letzten Knotens verrichtete er ein kurzes Gebet, das er mit den Worten abschloß »Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!« Jetzt hielt das Fließband. Da alle Gendarmerien in dieser Nacht hundert derartige Anrufe erhielten und manchmal Mühe hatten, das Gehörte zu glauben, und weil auch der Polizeipräfekt, der keine Anweisungen mehr erhielt und nur noch eine demoralisierte Truppe befehligte, sich entschlossen hatte, den nächsten Tag abzuwarten, um klarer zu sehen, so machte sich die Direktion von Olo die These von einem Unfall zu eigen. Man kann sogar vermuten, daß sie selbst diese Lösung vorschlug.
    »Und jetzt«, schloß der Direktor nach einer Minute Stillschweigen, »jetzt geht‘s wieder an die Arbeit.«
    »Einverstanden«, erwiderte das

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