Das Heerlager der Heiligen
auszuführen ich nach bestem Wissen und Gewissen von jedem Soldaten, jedem Polizisten und jedem Offizier fordere, von denen aber jeder genau prüfen soll, ob er ihn annehmen oder ablehnen will. Töten ist schwer. Wissen warum ist noch schwerer. Ich selbst weiß es, aber ich habe nicht den Finger am Abzug und einige Zentimeter von meiner Waffe entfernt das Fleisch des Unglücklichen. Meine lieben Landsleute, was auch geschehen mag, Gott möge uns schützen oder uns vergeben.«
Nachdem er geendet hatte, brach er unter dem Beifall seiner Kumpel in ein Gelächter aus. Es war ein merkwürdiger Augenblick, als der Haß plötzlich umschlug und einer feineren Regung wich, als ob ein gesunder Widerstreit bei dieser sozial gehobenen Stufe ein Bedauern ausdrücken wollte. Eine Stimme drang durch den Lärm:
»Auf, Chef! Wir laden dich ein. Wenn du klug bist, werden wir vielleicht morgen bezahlen, was getrunken wird. Alle sollen leben, nicht wahr?«
»So geht‘s nicht«, sagte achselzuckend der Chef.
Dann warf er seine Waffe weg, steckte den Inhalt der Registrierkasse in die Tasche und lief, ohne sich umzudrehen, geradewegs in die Nacht hinaus. Alle machten ihm Platz. Etwas weiter entfernt mußte er sich auf dem Boulevard unter einen Torbogen stellen, um eine große Menschenmenge vorbeiziehen zu lassen, die keinen daumenbreit den Bürgersteig freigab. Es waren die Arbeiter aus dem Untergrund, die Paris besetzten.
In diesem Zusammenhang sei eine wenig bekannte Episode erwähnt, von der viele Historiker meinen, es sei klüger, darüber zu schweigen. Denn in Regierungskreisen befinden sich hochgestellte Leute, denen eine Erinnerung daran auf die Nerven fallen würde. Es handelt sich um die überstürzte Flucht aller vornehmen Schwarzen vor der Armee der Straßenkehrer, Handlanger und afrikanischen Höhlenbewohner, angeführt von ihren Zauberern, besonders dem »Doyen« der dunklen Keller und dem weißen Pater der Straßenkehrer, Lavigerie de Bidonville. Da etliche unter ihnen frühmorgens die Randsteine der Boulevards kehrten, zu einer Zeit, wo diese schwarzen Herren in ihre Wagen stiegen, die seit dem Vorabend auf dem heiligen Asphalt geparkt standen, hatte sich in den Kellern und Mansarden die Legende von einem schwarzen Paradies verbreitet. Die Herrensöhne stellten sich zur Schau. Was hatten sie noch gemein mit den armen Kehrbesennegern? Die Hautfarbe? Sicher. Diese Luxusneger waren wütend, daß sie im Herzen dieser Hauptstadt, die Zeuge ihres Erfolges ist, dauernd auf den Bürgersteigen, am Ausgang der Kanalisationsschächte oder hinter den Müllwagen auf ihre zerlumpten, hungrigen, befangenen Doppelgänger stießen, deren billig verkaufte schwarze Haut die hochgestellten Neger beleidigte. In dieser Nacht wurden ihre Haßgefühle auf eine harte Probe gestellt. Einerseits hatten sie eine Abneigung gegen die Weißen, andererseits einen Widerwillen gegen ihre Brüder aus dem Untergrund. Immerhin hatte sie der Haß der schwarzen Proletarier bis nach Frankreich verfolgt, ihnen aber im Kielwasser der Weißen das Schicksal ihrer Rasse erspart.
Der Gangesbefreiungsmythos löste unmerklich Spaltungen aus. In diesem trüben Wasser der Weltuntergangsstimmung war für niemand mehr etwas erkennbar, und das Tier verschleierte bewußt alles, so wie ein Tintenfisch sich dem Gegner dadurch entzieht, daß er Tinte verspritzt. Vielleicht ist das eine Erklärung.
Auf jeden Fall liefen diese eleganten Typen, wenn immer die zerlumpten schwarzen Heerscharen vor dem »Odéon-Music« oder an andern Polen des schwarzen Paradieses auftauchten, wie die Hasen davon. Wir wollen jedoch ihre Geistesgegenwart und ihre Standhaftigkeit, die sie bis in die Frühe bewahrten, loben. Als sie jetzt, bestens angezogen, an die Türen aller Wohnungen im Viertel klopften, sagten sie zu den verängstigen Bürgern etwa folgendes:
»Meine Damen und Herren, wir kommen, um Sie zu schützen. Seit Mitternacht wissen Sie, daß es keine Vorrechte mehr gibt. Sie müssen alles teilen. Mit den Arbeitern der Dritten Welt und wer da noch dazukommt. Die Straßen sind schon besetzt. Vielleicht kommen in wenigen Minuten ganze Familien zu Ihnen, und Sie müssen übel oder wohl zusammenrücken. Ihr Salon wird zum Feldlager. Für unsere unglücklichen Brüder, die sich in Ihren Diensten abschinden, ohne die Sie aber nicht leben können, wäre es nur gerecht. Wir andern dagegen – Studenten, Prinzen, Unternehmersöhne, Professoren, Diplomaten, Intellektuelle, Künstler und mancher
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