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Das Heerlager der Heiligen

Das Heerlager der Heiligen

Titel: Das Heerlager der Heiligen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Raspail
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Ofenhitze rasch eingetrocknet war. Es gab ein großes Geschrei. Das Fließband stand still und Tausende von Arabern knieten daneben in Richtung Mekka gewandt und dankten Allah. So opferten die »Ungeliebten« einen Sündenbock.
    In jener Nacht gab es in Javel keine Verbrechen mehr. Eines genügte und wurde von allen verstanden. Dem Geschichtsforscher sei gesagt, daß in Javel immer noch Autos hergestellt werden. Sie sind sehr teuer und kaum zu bekommen, da sie vorrangig den Behördenchefs des neuen Regimes geliefert werden. Wenn ein Arbeiter sich eines leisten wollte, müßte er den Lohn von zehn Jahren aufwenden. Dies Vergnügen bleibt ihm also versagt, aber unsere veralteten und heruntergekommenen Verkehrsmittel und das Gedränge auf schlechten Straßen trösten ihn. Als der Schreiber dieser Zeilen nach langem Aufenthalt in der Schweiz wieder nach Paris kam, standen Kinder atemlos um seinen Wagen herum, wie vor einem neuen Spielzeug. Als sie jedoch das Schweizer Kennzeichen sahen, lachten sie verächtlich. Die Unverbesserlichen! Man möge diese Abschweifung verzeihen …
    In Billancourt, Vénissieux, Le Mans usw. erlitt man mit dem westlichen Arbeitstempo gleichfalls Schiffbruch. Daß dieses auf dem Schweiß der Dritten Welt beruhte, änderte an der Sache nichts. Man kann sogar behaupten – allerdings unter Gefahr der gesellschaftlichen Ächtung –, daß im westlichen Herrschaftsbereich wenigstens die Dritte Welt tüchtig arbeitete. Das beste wäre gewesen, darauf stolz zu sein und gerechte Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Untergebenen herzustellen, statt auf dem Gipfel des Wohlstands immer zu klagen. Sollen wir es bedauern? Wir hätten ein wenig länger ausgehalten, das ist alles, wo doch Millionen Milliarden gegenüberstehen. Nachdem nunmehr die Dritte Welt über uns hinweggerollt ist, kann man ruhig feststellen, daß ihre unbewußte Dynamik recht behalten hat. Jetzt hat sich alles geändert, die Sprache, die menschlichen Beziehungen, das Arbeitstempo, die Erregbarkeit, die Leistung, die Auffassung von allem, ja selbst die Gleichgültigkeit gegenüber allem. Und da die ungehemmten sexuellen Beziehungen auf vollen Touren liefen, so kann man sagen, daß der Weiße die Dritte Welt geworden ist, die Dritte Welt aber nicht weiß. Dennoch hat sie gewonnen.
    Ein alter Araber jammerte heimlich, »daß es unter den Franzosen besser war«. Er weiß nicht einmal mehr, ob er von seiner algerischen Heimat spricht oder von dem Frankreich, wo er jetzt wohnt. Millionen andere nagen an unserem riesigen sozialen Etat und sagen, daß sich jetzt das Rad gedreht hat und die Gleichheit kein leeres Wort mehr ist. So ähnlich dachte wohl unbewußt in dieser Nacht auch jene bei der Funktechnik in Croissy beschäftigte Arbeiterin aus den Antillen. Als sie ihren Schraubenzieher in die Brust der Vorarbeiterin stieß, rief sie einfach aus: »Schluß mit der Plantagenarbeit!« Ein Wort, das von weit herkam …
    In der gleichen Nacht wurde – diesmal endgültig – der heilige Asphalt des Boulevard Saint-Germain in Paris besetzt. Kaum hatte der Präsident der Republik zu sprechen aufgehört, als das Viertel, das in Erwartung der Rede den ganzen Abend leer war, mit einem Schlag lebendig wurde. Zwanzigtausend schwarze Studenten, darunter einige junge Diplomaten, besetzten den heiligen Asphalt. Elsaß-Lothringen war wieder eingenommen worden. Diesmal würde man es nicht mehr aufgeben! Sie kamen von überall her. Aus den Antillen-Bars, den afrikanischen Tanzlokalen, den Wohnungen des Universitätsviertels, wo sie das Unmögliche erwartet und das Unvermeidbare erwünscht hatten. Sie tauchten alle gleichzeitig auf. Im Restaurant »Odéon-Music« setzte sich einer von ihnen hinter das Buffet und forderte: »Eine Runde vom Chef.« Das Beispiel fand in allen Cafés in der Nähe Nachahmung. Es gab nur einen Zwischenfall. In einem Café zog der Besitzer, hartnäckig wie er war, die Pistole, die er immer griffbereit in seiner Schublade liegen hatte. Während er die sein Café wie ein Tropenregen überflutende Menge bedrohte, trat ein großer Bursche aus Guadeloupe auf ihn zu. Er schien einer der Studentensprecher zu sein. Mit heruntergelassenen Händen näherte er sich der ausgestreckten Pistole auf Zentimeter. Der Mann hatte ein Gedächtnis und ein Geschick zur Nachahmung. Auge in Auge mit dem Kaffeehausbesitzer begann er zu reden und man glaubte, erneut den Präsidenten der Republik zu hören:
    »Es handelt sich um einen grausamen Auftrag, den

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